Ich hab da noch ein bisschen weiter überlegt, und bin zu dem Schluss gekommen, dass eine direkte Umsetzung von GURPS hier nicht wirklich funktionieren kann. Solange man nicht genug DR hat, um ankommende Attacken einfach hinzunehmen, wird man einfach zu schnell in reine Verteidigung gedrängt, weil jede Verteidigungsaktion Ticks braucht.
Ein Schrauben an der Tick-Anzahl von aktiver Verteidigung kann das Problem zwar verschieben, aber nicht lösen. Das Prinzip der kostenpflichtigen Abwehr an sich stellt einfach einen zusätzlichen Kraft-Multiplikator auf Überzahl dar, der im regulären GURPS nicht (bzw. über multiple Parry penalties nur sehr eingeschränkt) vorhanden ist.
In Splittermond funktioniert das ganze besser, weil
a) man einen passiven Verteidigungswert hat, der mit der Kampferfahrung eines Charakters mitsteigt. Ein guter Kämpfer braucht gegen mehrere schwache Gegner also (in der Theorie, perfekt balanciert ist es auch nicht gerade) nicht öfter aktive Verteidigung machen als gegen einen einzelnen starken, weil die halt die passive Verteidigung nicht so oft schlagen (und aktive Verteidigung erhöht für einen Schlag diesen passiven Wert statt Angriffe komplett zu annullieren wie in GURPS - die unparierbaren Kritischen hat man in SpliMo also implizit mit drin bei guten Angriffswürfen, weil auch eine gut gelungene aktive Verteidigung dann oft nicht ausreicht).
b) man mehr einstecken kann als in GURPS. In SpliMo hat man 5 Stufen HP-Leisten, und jede sollte zumindest einen normalen Schlag absorbieren, eher 2 bei guter Konstitution und eventuell ein bisschen Schadensresistenz. 1 oder 2 der 5 Stufen zu verlieren ist auch noch nicht die Welt, so schlimm sind die Abzüge da noch nicht. Bei GURPS ist man ohne gute Rüstung (die in Low-Tech-Settings dafür fast unverwundbar machen kann) nach 2 Treffern eines halbwegs bewaffneten normalen Gegners auch als zäherer Bursche wahrscheinlich schon so weit, dass man jede Runde würfeln muss, ob man KO geht.
An den HP zu schrauben kann in GURPS denke ich nicht die Lösung sein, weil das System will ja, dass Kampf und Verletzungen gefährlich sind und nicht, wie etwa in D&D, einfach als irrelevante Kratzer abgetan werden ("Axtschläge in die Brust? Vor dem fünften frag ich nicht mal nach Heilung!").
Also müsste man vermutlich irgendeine Form von passiver Verteidigung einführen. Aus Effizienzgründen auch nicht im Sinne von GURPS 3, wo die auch gewürfelt wurde und effektiv einfach einen Teil der aktiven Verteidigung ausgemacht hat. Zudem Passive Defense in GURPS 3 für sich allein praktisch eh nie gereicht hat, womit sich am Problem nichts ändern würde.
Stattdessen bräuchte man wohl eine Art Erschwernis auf gegnerische Angriffe. Und anders als aktive Verteidigung jetzt müsste die wohl vergleichbar schnell steigen wie die Angriffsfertigkeit, weil ansonsten verschiebt sich die Balance wieder stark mit der Kompetenz der Kontrahenten, würde also z.B. bei einem Kampf zwischen Skill-12-Leuten funktionieren aber zwischen Skill-16-Leuten dann nicht mehr.
Noch eine Überlegung:
In SpliMo skaliert der Angriffsschaden (besonders bei Waffen mit Merkmal Wucht) mit der Anzahl der Erfolgsgrade, während bei GURPS, abgesehen von den sehr seltenen Kritischen, sowohl Angriff als auch Parade binär sind. Solange man also nicht bei GURPS aufwändig die Trefferzone auswürfeln würde (oder mit regelmäßigen Trefferzonen-Ansagen spielt), bevor der Getroffene sich für eine aktive Verteidigung entscheidet, weiß man nicht, ob man einen Angriff mit hoher Wahrscheinlichkeit wegstecken kann oder auf jeden Fall abwehren sollte.
Zumal der Schaden bei GURPS bei durchschnittlicher Stärke und niedriger DR ziemlich unvorhersehbar variieren kann. 1d6 imp kann am Torso von 2 bis 12 Schaden machen bei normalerweise 10 HP... von einem Kratzer (16%) bis zu einem Fight-Ender (33%) ist also alles drin, ohne dass man es vor dem Schadenswurf ahnen kann.
Bei SpliMo ist da nach dem Angriff schneller abschätzbar, ob man den Angriff parieren sollte oder lieber einfach hinnimmt und sich die Ticks spart. Zumal die aktive Verteidigung immer gleich viel kostet, die Ticks für den Angriff aber (in etwa) mit dem verursachten Waffenschaden steigen. Das hat zwar wenig realistische Logik, führt aber dazu, dass man Niedrig-Schaden-Angriffe vielleicht nicht abwehren will, um nicht zu sehr in die Defensive zu geraten, während ein Abwehrversuch gegen einen Hoch-Schadens-Angriff tickmäßig im Vergleich zum nächsten Schlag des Gegners kaum ins Gewicht fällt.
Fazit: Ein Tick-System für GURPS an sich ist nicht schwierig und erfordert keine massiven Umbauten des Systems. Aber wenn man ein GUTES Ticksystem für GURPS will, das es auch wirklich wert ist, schaut das gleich ganz anders aus...