Viele Systeme, vor allem modernere im Bereich Pseudo-Mittelalter-Fantasy, nehmen für sich in Anspruch, "heldenhaft" zu sein.
Persönlich sehe ich diesen Anspruch als oft nicht in den Regeln reflektiert. Andererseits mag das daran liegen, dass man "heldenhaft" auf recht verschiedene Arten definieren kann, und sich meine Auffassung vermutlich merklich von einer allgemeinen unterscheidet.
Also zuerst: Was verstehe ich persönlich unter "Heldentum"?
Oft sehe ich es assoziiert mit auffallend großer Macht des "Helden" und der "Überlebensgröße" der Taten, die er vollbringt. In diesem Sinne mögen manche P&P-Systeme das durchaus treffen. Das hat für mich aber nichts mit dem eigentlichen "Helden"-Begriff zu tun. Ich würde hier eher Begriffe wie "episch" heranziehen.
Ein Held ist für mich, völlig unabhängig von seiner kämpferischen oder sonstigen Stärke, primär jemand, der bereit ist, für andere den Kopf hinzuhalten, obwohl das ein großes persönliches Risiko bedeutet.
Wenn ein Super-Held wieder einmal ein paar dahergelaufene Bankräuber aufmischt oder ein mid-level D&D PC eine kleine Räuberbande massakriert, ist das für mich keine Heldentat, weil für den Protagonisten kein ernstzunehmendes Risiko besteht. Das fällt für mich eher in die Kategorie "seine Verantwortung wahrnehmen" oder vielleicht auch "sich leichte aber argumentierbar legitime Ziele suchen, um sich auszutoben und die eigene Macht auszukosten". Wenn Otto Schmalschulter drei Bodybuildern in Hell's Angels Jacken erklärt, sie sollten eine Dame doch bitte nicht so belästigen, wäre das aus meiner Sicht deutlich heldenhafter. Weil sie sich in Folge wahrscheinlich an ihm austoben.
Viele Systeme, die von "Heldentum" sprechen, scheinen aber spielmechanisch eher in Richtung "Illusion von Gefahr" und "Gewinngarantie für SCs" zu gehen, mit "level-appropriate Encounters" und allem, was dazu gehört. Die sind dann vielleicht oft "episch", weil man halt ganze Horden von Orks oder hausgroße Dämonen niedermetzelt, aber nach meiner Definition eben nicht "heldenhaft", weil die Spieler (und vermutlich auch die SCs, die ja auch eine Einschätzung der relativen Gefährlichkeit ihrer Kontrahenten haben) damit rechnen können, nicht nur ohne nennenswerte negative Nachwirkungen zu gewinnen sondern sogar stärker aus der Sache herauszugehen (Beute, Erfahrungspunkte).
Andererseits würden Systeme, die tatsächliches Heldentum nach meiner Auffassung erlauben, von vielen Spielern wohl eben nicht als "heldenhaft" erlebt - vor allem wenn sie zusätzlich noch auf "epischen" Maßstab der vollbrachten Abenteuer verzichten. Da würden wohl eher Begriffe wie "old-school" oder sogar "grimdark" fallen.
Und ein "Heldentod" ist es nur (und generell ein Charaktertod nur akzeptabel), wenn man sich im Finale einer Kampagne dramatisch im Kampf gegen irgendeinen Super-Bösewicht opfert, um das Ruder herumzureißen (mal abgesehen davon, dass einen dann in vielen Systemen bei nächster Gelegenheit der "Cleric" einfach wiederbelebt).
Was natürlich aus narrativistischer Sicht völlig Sinn macht. Es ist einer guten Geschichte selten zuträglich, wenn ein mühsam entwickelter persönlicher Plotfaden, oder gleich mehrere, plötzlich durch einen zufälligen, völlig "unsinnigen" (auf die Dramaturgie der Geschichte bezogen) Charaktertod gekappt und mit dem Charakter zu Grabe getragen werden. Ganz zu schweigen von Geschichten, die sich um "die Auserwählten" oder ähnliches drehen.
Die Frage ist hier nicht, was einem mehr Spaß macht - den meisten Spielern scheint meiner Erfahrung nach die vom SL erzählerisch erzeugte Illusion von Gefahr deutlich lieber zu sein als echte spielmechanische Gefahr für ihre SCs - sondern mehr, was Eure Auffassung vom Heldenbegriff wäre, und wie Regeln beschaffen sein sollten, um diesen zu unterstützen.
Für ein gemütliches dahinspielen kann ich auch die Illusion einer Gefahr schätzen, so lange sie gut gemacht ist, oder die Plotfäden, die das Überleben des Charakters garantieren, interessant sind. Aber manchmal schätze ich es auch, wenn der eigene SC in tatsächlicher Gefahr schwebt. Weil ein häufiges Resultat aus diesem Umstand nennt man dann "Spannung" - solange die Geschichte nicht so düster ist, dass sowieso alle Charaktere dem sicheren Untergang geweiht sind. Und selbst wenn einem einmal der Zufall eine reinwürgt und was gröber daneben geht, bietet das oft wieder seine eigenen, interessanten erzählerischen Möglichkeiten.