Balance im P&P-Rollenspiel

  • Hallo.


    Weil wir hier mal kontroverse Diskussionen anfangen sollten: Balance. Mögliche Fragen, über die man ewig diskutieren könnte:

    -> Was ist Balance überhaupt?

    -> Ist es wünschenswert, dass ein System gute Balance hat?

    -> Wenn ja: Wie erkennt man gute Balance?

    -> Inwiefern kann man im P&P überhaupt von Balance reden so wie in kompetitiven Spielen?



    Meiner persönlichen Antworten:


    Was ist Balance überhaupt?

    ...Das hängt meiner Ansicht nach vom Kontext ab. Meistens würde ich aber folgende Definition nehmen: "Ein System ist balanciert, wenn effektives Spiel interessant ist.". Sprich: Das System hält es aus und macht Spaß, wenn Leute es mit einer minmaxing playing to win Mentalität spielen.


    Ist es wünschenswert, dass ein System gute Balance hat?

    Ja. Eines der typischen Gegenargumente ist, dass Balancing in Konflikt mit Realismus und/oder Story steht. Und das stimmt auch, zumindest manchmal. Ich würde trotzdem ein gut gebalanctes System einem realistischen und/oder narrativen System vorziehen.


    Wie erkennt man gute Balance?

    Spiel das System mit Leuten, die gut im minmaxen sind, die Regeln halbwegs kennen, und sich nicht zurückhalten würden, alle Exploits die sie finden voll auszunutzen. Dann probier aus, ob es immer noch Spaß macht.


    Inwiefern kann man im P&P überhaupt von Balance reden so wie in kompetitiven Spielen?

    ...Heißt's nicht, dass es im Rollenspiel nicht um's Gewinnen geht? Je nach Spielstil ist das vollkommen richtig. Aber in denjenigen Runden, wo nicht schon von vornherein feststeht, dass die SCs ihre Aufgaben bestehen werden, weil der SL es halt je nach Story entsprechend einfädeln wird (oder wo von vornherein feststeht, dass sie NICHT bestehen werden, weil es Horror ist zum Beispiel), geht es sehr wohl um's Gewinnen, zumindest teilweise. Und man kann durch seine Entscheidungen als Spieler beeinflussen, wie gut die Chancen der Gruppe sind. Balance im P&P ist aber nicht wie in kompetitiven Spielen nur davon abhängig, wie groß die Wahrscheinlichkeit zum Gewinnen ist, sondern auch wie viel man mit dem eigenen Charakter dazu beitragen kann.



    ...Soweit von mir. Was sind eure Meinungen zu dem Thema? Ich stehe bereit um gegen euch zu argumentieren, wenn ihr meint Balance im P&P braucht keiner. :P

  • Andreas Melhorn unterscheidet in seinem (meiner Meinung nach sehr empfehlenswerten) Buch "Abenteuer gestalten" zwischen "Combat as Sport" und "Combat as War", wobei die ursprüngliche Theorie dazu wohl von enworld stammt:https://www.enworld.org/thread…n-d-d-play-styles.317715/ . Mir hat das damals einen neuen Zugang zum Thema Balancing eröffnet, daher hier kurz eine Zusammenfassung:


    Beim "Combat as Sport" geht es, ähnlich einer Sportarena, um einen ausbalancierten Kampf, bei dem der gewinnt, der seinen Charakter am Besten geskillt hat und seine Fertigkeiten optimal einsetzt. Ich würde sagen, dass die offiziellen D&D5-Abenteuer stark diesem Ansatz folgen - in der Adventurers League werden die Gegener sogar ganz explizit daran angepasst, wie viele Chars auf welcher Stufe an dem Kampf teilnehmen und auch die Empfehlungen im Dungeon Master Guide gehen in diese Richtung.

    Ein anderer Zugang zu Kämpfen wäre der "Combat as War", bei dem es nicht um einen fairen Kampf geht. Tendenziell fallen eher ältere Kaufabenteuer in diese Kategorie, bei der es auch passieren kann, dass Stufe 1 Charaktere durch blöden Zufall in einem Raum mit einem Drachen tappen. Die Situation an sich ist realistischer, da der Gruppe nicht nur immer passende Gegner präsentiert werden. Gleichzeitig wäre ein Kampf der Stufe 1 Chars gegen den Drachen völlig einseitig, unfair und auch durch effektives Spielen nicht zu gewinnen. Die SpielerInnen können die Situation aber vielleicht zu ihren Gunsten entscheiden, wenn sie kreativ vorgehen (Fallen legen, täuschen, Umgebung nutzen). Manchmal hilft aber auch nur weglaufen.


    Persönlich kann ich beiden Zugängen etwas abgewinnen, wobei ich merke, dass ich freitags nach einer anstrengenden Woche eher zum "Combat as Sports" tendiere, während ich ausgeschlafen am Wochenende die kreativere und überraschendere Herausforderung des "Combat as War" interessanter finde. In beiden Fällen finde ich es aber gut, wenn klar ist, was ein System möchte und auch was die Gruppe möchte. Ich minmaxe gerne dort wo es passt, ich spiele aber auch gerne Abenteuer, bei dem ich Charaktere primär nach Fluff baue und dafür auch unkonventionellere Lösungen gefragt sind. Insofern finde ich die oben skizzierte Unterscheidung sinnvoll um zu wissen woran ich bin. Auch wenn in der Praxis dann ohnehin meist Mischformen auftreten :)

  • ...Ok, "Combat as Sport" vs. "Combat as War" ist einer von den Kontexten, wo meine oben gespostete Definition von "Balance" nicht wirklich Sinn macht. Nur weil die Encounters in "Combat as War" nicht "balanciert" sind, heißt das nämlich nicht, dass sie keinen Spaß machen. Im Bereich der Encounter bin ich also durchaus der Meinung, dass sie NICHT unbedingt balanciert sein müssen, entgegen meiner obigen Ansage, dass ich hier Balance im P&P verteidigen würde... ^^'


    Ich stimme zu, dass "Combat as Sport" und "Combat as War" beides valide Ansätze sind, und ich spiele auch selber beides gern, auch wenn es natürlich unterschiedliche Stile sind. Die Unterschiede sind halt nicht so ausgeprägt wie zwischen diesen beiden und einem sehr stark narrativen oder immersiven Stil, wo "Combat" an sich schon keine hohe Priorität hat.

  • Inwiefern kann man im P&P überhaupt von Balance reden so wie in kompetitiven Spielen?

    ...Heißt's nicht, dass es im Rollenspiel nicht um's Gewinnen geht? Je nach Spielstil ist das vollkommen richtig. Aber in denjenigen Runden, wo nicht schon von vornherein feststeht, dass die SCs ihre Aufgaben bestehen werden, weil der SL es halt je nach Story entsprechend einfädeln wird (oder wo von vornherein feststeht, dass sie NICHT bestehen werden, weil es Horror ist zum Beispiel), geht es sehr wohl um's Gewinnen, zumindest teilweise. Und man kann durch seine Entscheidungen als Spieler beeinflussen, wie gut die Chancen der Gruppe sind. Balance im P&P ist aber nicht wie in kompetitiven Spielen nur davon abhängig, wie groß die Wahrscheinlichkeit zum Gewinnen ist, sondern auch wie viel man mit dem eigenen Charakter dazu beitragen kann.

    Ich würde behaupten im PnP (sofern man es nicht total brettspielmäßig spielt endet das Balancing spätestens nach einigen Sitzungen würde ich behaupten.
    Zwar kann die Balance für Startcharaktere gegeben sein und auch über Erfahrungspunkte kann das noch funktionieren (wenn man es denn schafft alles ausbalancieren). Aber die Balance endet dann halt an erarbeiteten Errungenschaften im Spiel. Das kann ein magisches Schwert sein oder eine seltsame Fähigkeit die der SL vergibt oder simpel daran das die Spieler völlig andere Schwerpunkte beim verteilen der EP legen.

    Katharina
    Bei Sports vs. War bin ich eindeutig für War. Ich mags doch lieber realistisch auch wenns mal unfair wird, als das Gefühl zu haben ich Spiel ein Brettspiel oder Videospiel wo jeder Gegner der auftaucht auch real schaffbar für die Gruppe ist. Und das sage ich als SL der eh recht nett leitet würde ich behaupten.
    Wird langsam zeit das es in meiner Gruppe ein bissi härter wird. XD

  • Ich würde behaupten im PnP (sofern man es nicht total brettspielmäßig spielt endet das Balancing spätestens nach einigen Sitzungen würde ich behaupten.
    Zwar kann die Balance für Startcharaktere gegeben sein und auch über Erfahrungspunkte kann das noch funktionieren (wenn man es denn schafft alles ausbalancieren). Aber die Balance endet dann halt an erarbeiteten Errungenschaften im Spiel. Das kann ein magisches Schwert sein oder eine seltsame Fähigkeit die der SL vergibt oder simpel daran das die Spieler völlig andere Schwerpunkte beim verteilen der EP legen.


    Ok, ich habe Fragen:

    -> Ist es gut oder schlecht, wenn unterschiedliche Spieler sehr unterschiedlich effektive Charaktere haben, weil sie ihre EP unterschiedlich verteilt haben?

    -> Ist es gut oder schlecht, wenn manche Spieler overpowerte magische Schwerter kriegen und andere kriegen nix vergleichbares?


    Persönliche Meinung von mir: In beiden Fällen ist das eher schlecht... Wobei ich mich bei den overpowerten magischen Schwertern vielleicht noch überzeugen lasse, mit einer ähnlichen Logik wie bei Combat as War: Ja, es ist mächtig. Daher wollen andere Leute es auch haben und machen dir deswegen Probleme und versuchen es dir wegzunehmen, und du als Spieler musst schauen, wie du sie daran hinderst.

    ...Und ja, bei den EP kann man argumentieren, dass wenn jemand die Punkte in Nicht-Kampf Zeugs steckt, dann natürlich auch nicht so gut im Kampf ist, was ja auch Sinn macht. Es sollte dann halt zumindest argumentierbar sein, dass diesen Nicht-Kampf-Fähigkeiten eine ähnliche Bedeutung zukommt wie den Kampf-Fähigkeiten. Und wenn zwei Charaktere gleich viele Punkte in Kampf-Fähigkeiten haben, dann sollten sie auch ungefähr gleich gut im Kampf sein.

  • Ich würde behaupten im PnP (sofern man es nicht total brettspielmäßig spielt endet das Balancing spätestens nach einigen Sitzungen würde ich behaupten.
    Zwar kann die Balance für Startcharaktere gegeben sein und auch über Erfahrungspunkte kann das noch funktionieren (wenn man es denn schafft alles ausbalancieren). Aber die Balance endet dann halt an erarbeiteten Errungenschaften im Spiel. Das kann ein magisches Schwert sein oder eine seltsame Fähigkeit die der SL vergibt oder simpel daran das die Spieler völlig andere Schwerpunkte beim verteilen der EP legen.

    Ich denke, das hängt stark vom System ab. Bei D&D5 sehe ich das z.B. nicht so, da hier aufgrund der Klassen stark vorgegeben ist, wie sich die Charaktere entwickeln und es hier wenige Entscheidungen zu treffen gibt. Und die Entscheidungen, die man treffen kann, sind alle recht gleichwertig. Und für die Magic Items gibt es (wenn man sich daran halten mag) offizielle Empfehlungen dazu, wie viele Magic Items ein Char auf welchem Level haben sollte.

    Bei anderen Systemen (DSA4) sehe ich das aber ähnlich wie du. Und da ist es meiner Meinung nach einfach eine Frage des Spieldesigns, ob ein System wert darauf legt, dass die Charaktere ungefähr gleich stark sind, oder ob es eher mehr Entscheidungsmöglichkeiten und einen realistischeren Ansatz bieten möchte. Ich bevorzuge tendenziell ersteres, da ich mich sonst in der Zwickmühle finde, einen Charakter entweder so zu bauen, wie ich ihn mir vorstelle oder so, wie er effektiv ist. Sind alle Optionen gleichwertig, kann ich einfach das wählen, was besser passt.

    Zitat

    Wird langsam zeit das es in meiner Gruppe ein bissi härter wird. XD

    Das Gefühl kenne ich ;)

  • fodazd

    Ich finde das weder gut noch schlecht.
    Das liegt schon alleine daran das in PnP oft gar nicht zwingend gekämpft werden muss. Zum Beispiel weil die Truppe von Ogern mit einem starken Abführmittel ausgeschaltet wurden. Das tolle an PnP ist ja das man in 90% aller Fälle nicht zwingend kämpfen muss sondern auch andere Lösungen suchen kann. Das spielt dann Balance auch keine Rolle mehr.

    Also prinzipiell, einfach durch die Fülle an Möglichkeiten die es im PnP gibt, vor allem bei kreativen Charakteren, kann man sagen das es in PnP keine Balance gibt wenn man es nicht wie ein Brettspiel spielt.

  • Ich denke, das hängt stark vom System ab. Bei D&D5 sehe ich das z.B. nicht so, da hier aufgrund der Klassen stark vorgegeben ist, wie sich die Charaktere entwickeln und es hier wenige Entscheidungen zu treffen gibt. Und die Entscheidungen, die man treffen kann, sind alle recht gleichwertig. Und für die Magic Items gibt es (wenn man sich daran halten mag) offizielle Empfehlungen dazu, wie viele Magic Items ein Char auf welchem Level haben sollte.

    Bei anderen Systemen (DSA4) sehe ich das aber ähnlich wie du. Und da ist es meiner Meinung nach einfach eine Frage des Spieldesigns, ob ein System wert darauf legt, dass die Charaktere ungefähr gleich stark sind, oder ob es eher mehr Entscheidungsmöglichkeiten und einen realistischeren Ansatz bieten möchte. Ich bevorzuge tendenziell ersteres, da ich mich sonst in der Zwickmühle finde, einen Charakter entweder so zu bauen, wie ich ihn mir vorstelle oder so, wie er effektiv ist. Sind alle Optionen gleichwertig, kann ich einfach das wählen, was besser passt.


    Das sehe ich genau so. DSA4 ist kein balanciertes System, im Sinn von es verkraftet es nicht, wenn Leute das Charakterbau-System voll ausreizen. Ein neu gebauter DSA4-Charakter der properly minmaxed ist kann deutlich mächtiger sein als ein jahrelang gespielter Charakter der beim Bauen halt *nicht* geminmaxed wurde... Und dementsprechend ist man in DSA4 ständig in dieser beschriebenen Zwickmühle, wenn man sich einen neuen Charakter baut.

    Und ja, nur weil ein System "narrativ" ist, heißt das nicht, dass Kämpfe nicht relevant sind. Aber man könnte in diesen Systemen vermutlich die "Combat as Sports" vs. "Combat as War" Diskussion nicht auf die selbe Art und Weise führen wie in DSA oder D&D.


    Ich finde das weder gut noch schlecht.
    Das liegt schon alleine daran das in PnP oft gar nicht zwingend gekämpft werden muss. Zum Beispiel weil die Truppe von Ogern mit einem starken Abführmittel ausgeschaltet wurden. Das tolle an PnP ist ja das man in 90% aller Fälle nicht zwingend kämpfen muss sondern auch andere Lösungen suchen kann. Das spielt dann Balance auch keine Rolle mehr.

    Also prinzipiell, einfach durch die Fülle an Möglichkeiten die es im PnP gibt, vor allem bei kreativen Charakteren, kann man sagen das es in PnP keine Balance gibt wenn man es nicht wie ein Brettspiel spielt.


    Persönliche Meinung von mir: Balance spielt auch außerhalb vom Kampf eine große Rolle. Wenn du eine Fähigkeit hast, die dir erlaubt, alles zu kriegen für was du normalerweise kämpfen müsstest, ohne tatsächlich kämpfen zu müssen (mit starker und relativ breit einsetzbarer Beherrschungs- oder Illusionsmagie zum Beispiel), dann ist diese Fähigkeit höher zu bewerten als die meisten Kampf-Fähigkeiten. Die Frage ist dann: Funktionieren die Abführmittel verlässlich und reproduzierbar? Wenn ja, dann werden Kampf-Fähigkeiten dadurch natürlich weniger wert als Fähigkeiten, um die Abführmittel zu bekommen und zu verabreichen.

  • Also eines muss ich vorneweg sagen: Sehr coole Diskussion!

    Nun zu den Fragen.


    Balance in einem PnPRPG ist für mich genau so ein narrativer Prozess wie alles andere im Rollenspiel. Es gibt die technische Grundlage unten drunter die von den Spielern mehr oder weniger ausgenutzt werden kann, und drüber das Rollenspiel. Aber auch die zwei Bereiche müssen sich die Waagschale halten.

    Für mich hab ich da den Begriff: "Zwischensequenz-Syndrom" definiert, in dem es dabei geht das in vielen Videospielen das Kräftemaß des eigenen Charakters weit weg von dem ist, wie er in Zwischensequenzen gezeigt wird. Man schlachtet stundenlang durch Heerscharen von Dämonen aber in einem 5 Sekunden Clip wird man von zwei Dorftölpeln gefesselt und verprügelt, weil es die Geschichte verlangt.

    Aufs PnPRPG umgelegt ist es dasselbe, das sich die meisten Spieler auf Level 1 schon als "fertige" Abenteurer mit starker Hintergrundgeschichte verstehen. Dann aber aufgrund des niedrigen Levels im Keller des nahen Gasthofes von zwei Riesenratten zerrissen werden.

    Für mich ist also Balance in einem PnPRPG dann erreicht, wenn die Geschichte, die ich erzähle, durch die Mechanik unterstützt wird. Je weniger ich an der Mechanik basteln muss, umso besser ist die Balance. Zum Beispiel in 5e beginnen meine Abenteurer auf Stufe 3 wo das Kräfteverhältnis zwischen der Welt und beginnenden Abenteurern meiner Meinung nach gut passt.


    Ist es wünschenswert, das ein System gute Balance hat? Ich denke schon, außer es gibt einen guten Grund warum es nicht so ist. Ich spiele hin und wieder gern 5e Runden, bei denen die Spieler als Commoner (quasi Level -3) anfangen, wo jedes Geschöpf inklusive den kleinsten Spinnen tödlich sein kann. Das fordert die meisten Spieler heraus möglichst eine Rollenspielantwort auf alle Fragen zu finden, weil der Kampf in 9 von 10 Fällen absolut tödlich ist.
    Wenn die Balance aber von vornherein nicht stimmt, wenn ich im Kampf viel mehr oder weniger als im Rollenspiel kann, dann ist es natürlich Blödsinn und meiner Meinung nach das System einfach nicht fertig.


    Wie man gute Balance erkennt, hab ich schon eingangs erwähnt, aber ich geh vielleicht auf meine Perspektive auf die technische Seite ein. Balance kann nur dann hergestellt werden, wenn die Geschichte und Erzählung das auch unterstützen. Wenn Orks unzerstörbare Super-Mutanten sind und ich kann sie als Spieler Scharenweise ausmerzen, na ja, da brauch ich nicht an den Werten herumschrauben, das wird sich nie balanciert anfühlen. Es ist vielleicht im Spielsystem ausgeglichen, aber das ist für mich keine Balance. Zumindest nicht im PnPRPG, im Wargaming schaut das natürlich anders aus.


    Zu guter Letzt, kann, soll, muss man im PnPRPG von Balance wie in kompetitiven Spielen reden? Na, da kann ich ein eindeutiges Jain drauf geben. Balance ist etwas, das durch das Medium definiert ist. Im Rennsport ist ein Feld in der Waage, wenn das Leistungsgewicht zueinander halbwegs gleich ist. Im Fußball hilfts nicht, wenn eine Truppe mit 9 Leuten und die andere mit 11 spielt.

    Was mir oft an den Regelwerken fehlt, ist ein Penalty-System wie es im kompetitiven Umfeld gang und gäbe ist. Ich habe oft keine Möglichkeiten zwei Spieler in Relation während des Kampfes zueinander anzugleichen, ohne Auswirkungen auf die Erzählung zu haben. Und aus dem heraus denke ich, ist meine Antwort auch: Nein. Balance wie in kompetitiven Spielen hat im PnPRPG nichts zu suchen.

    Und meine Antwort ist: Ja. Wenn die Balance mit Rückhalt in der Geschichte hergestellt werden kann.

    "Thunder rolled. It got a 6." — Guards, Guards by Sir Terry Pratchett

  • -> Was ist Balance überhaupt?

    Ich würde Balance in Rollenspielregeln so sehen, dass jeder mögliche Charakterbuild über den Gesamtverlauf einer typischen Kampagne, für die das Speilsystem ausgelegt wurde (oder eines Spielabends, wenn das System auf one-shots abzielt), ähnlich viel zum Ergebnis beitragen kann.


    Das Grundproblem in den meisten Kampagnen ist nämlich, dass sie zu vielfältig sind, als dass numerische Balance, wie sie etwa bei einem Dungeon-Crawler-Brettspiel machbar wäre, wirklich unabhändgig von einem "Referenzabenteuer" möglich ist.

    Weil wie bewertet man, ohne Kontext, ein +3 Schwert im Vergleich zu einem gemaxten Diplomacy Wert im Vergleich zu einem "Move Earth" Spell im Vergleich zur angeborenen Fähigkeit, magische Strömungen wahrzunehmen?

    Dazu muss man vorher die Anzahl vermeidbarer und unvermeidbarer Kämpfe, die möglichen sozialen Interaktionen und deren Auswrikungen, die Umgebung (für Move Earth) und die Wichtigkeit von magischer Analyse für die Handlung irgendwie festlegen, ansonsten ist auch nur eine grobe Bewertung dieser sehr unterschiedlichen Fähigkeiten einfach nicht möglich.


    Das ist z.B. ein Grund warum D&D4, wie ich finde, mit Abstand die beste Spielbalance aller D&Ds hat: Weil die im Wesentlichen ein reines Dungeon-Crawler-Brettspiel gebaut haben, mit einem ausreichend knappen Set an Regeln und mechanischen Effekten, dass die zueinander rein mathematisch halbwegs balancierbar sind. Und Nicht-Kampf-Zeug hat in der Balance (und den Regeln) eine sehr geringe Rolle für ein Rollenspiel, weil es auch definitiv so vorgesehen ist, dass fast alles wichtige in einem Standard-Abenteuer durch taktischen Kampf entschieden wird. Und die paar Skills, die es darüber hinaus gibt, sind auch vorhersehbare Modifikatoren (einfach +5 Bonus), und gleichzeitig ausreichend wenig und hinreichend auf Standard-Abenteuer gemünzt, dass man ihre Auswirkung abschätzen kann. Ditto Nicht-Kampf-Zauber.

    Dass es aus den gleichen Gründen kein gutes D&D und kein besonderes Rollenspiel im Allgemeinen ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

    -> Ist es wünschenswert, dass ein System gute Balance hat?

    Ja.


    Wenn alle Spieler, wie in meiner Definition, mit ihrem Charakter was sinnvolles und entscheidendes zum Abenteuer beitragen können, sind alle Spieler zufrieden (außer ohnehin problematischen Spotlight Hogs, oder teilweise einem "I just want to hang out with you guys"-Spieler). Und das ist am Spieltisch eines der wichtigsten Ziele.


    Wenn ein Charakter für den Party-Erfolg nie relevant ist, wird der Spieler mit der Kampagne in den meisten Fällen bald frustriert sein, und das sollte man auf jeden Fall vermeiden.

    -> Wenn ja: Wie erkennt man gute Balance?

    In meiner Balancedefinition: Wenn alle Spieler im Spiel ihre "Hurra, ich habe was großes geleistet"-Momente haben, es bei allen Spielern Würfe gibt, wo alle am Tisch gespannt auf das Würfelergebnis harren und alle im Nachhinein Dinge erzählen wie "mein Charakter hat dieses richtig geile Dinge gemacht"

    -> Inwiefern kann man im P&P überhaupt von Balance reden so wie in kompetitiven Spielen?

    Siehe oben.

    Andreas Melhorn unterscheidet in seinem (meiner Meinung nach sehr empfehlenswerten) Buch "Abenteuer gestalten" zwischen "Combat as Sport" und "Combat as War"

    Ich sehe da in meiner Balance-Definition keinen allzu großen Unterschied: "Combat as War", was ich derzeit vor allem als SL bevorzugen würde, beeinflusst zwar, welche Kämpfe ausgefochten und welche vermieden werden (was dann eben wieder nicht-Kampf-Fähigkeiten und einfach guten Spieler-Ideen ihre Chance gibt, im Gesamtkontext des Abenteuers zu glänzen), aber die Balance von Kampffähigkeiten untereinander wird davon eigentlich wenig berührt.

    Weil selbst wenn man weniger starke, immer verfügbare Manöver gegen starke, begrenzt verfügbare balanciert, hat das sowohl in "Combat as Sport" (wo man dann die Anzahl an Minion- und Boss-Kämpfen und die Begrenzung an Macht-Fähigkeiten-Rückgewinnungsmöglichkeiten eben entsprechend gestaltet, dass alle Fähigkeiten gebraucht werden) als auch im "Combat as War" (wo die Spieler Situationen generell vermeiden werden, wo sie ihre begrenzten Super-Fähigkeiten brauchen, aber wenn sie so eine Situation mal nicht vermeiden können, werden ihnen diese Fähigkeiten oft den Arsch retten) seine angemessenen Auswirkungen aufs Spielergebnis. "Combat as War" ist hier natürlich weniger planbar, aber eine seltenere Nützlichkeit der Super-Fähigkeiten wird da dann durch ein "Ohne das wären wir jetzt wirklich im A**** gewesen" ausgeglichen.

    -> Ist es gut oder schlecht, wenn unterschiedliche Spieler sehr unterschiedlich effektive Charaktere haben, weil sie ihre EP unterschiedlich verteilt haben?

    In der üblichen Kampagne, wie ich geschrieben habe, nein.

    In einer explizit narrativen Kampagne kann das anders sein. Da kann man z.B. bewußt eine "Mentor-und-Schüler"-Beziehung haben, wo der Mentor-SC deutlich stärker ist als der Schüler-SC, weil man eher an der Beziehung und dem aus der Ungleichheit entstehenden Spannungsfeld interessiert ist als daran, wer mechanisch während dem Spiel die Erfolge einfährt.

    Ebenso kann es in einer stark simulationistischen Kampagne weniger wichtig sein, weil es nun mal der Welt-Simulation dienlich ist, wenn der Ritter einfach mehr kann (Kampftraining, Vermögen, sozialer Einfluss) als der Bauer.

    Da stehen dann aber andere Dinge im Vordergrund als das, was ich als Basis meiner Balance-Definition verwendet habe, wodurch die sowieso nicht mehr anwendbar wird. Und ich denke, die meisten Spielrunden werden Narrativismus und Simulationismus, abseits von extra darauf ausgelegten One-Shots, nicht in einer derart extremen Form betreiben. Die würden sich in "moderat" narrativistischen und/oder simulationistischen Runden dann immer noch erwarten, dass alle SCs halbwegs gleichmäßig ihre Glanzmomente bekommen; mangelnde mechanische Balancierbarkeit müsste hier dann wohl durch mehr SL-Railroading ausgeglichen werden, damit der Bauer zumindest hin und wieder seine Einsatzmöglichkeiten bekommt, die ihm der Ritter nicht einfach abnehmen und besser machen kann (etwa, indem Situationen eingebaut werden, in denen der Ritter durch seinen Ehrenkodex oder soziale Verpflichtungen behindert wird, oder wo wichtige NSCs ihm aufgrund seines Stands misstrauen würden).

    -> Ist es gut oder schlecht, wenn manche Spieler overpowerte magische Schwerter kriegen und andere kriegen nix vergleichbares?

    Kann beides sein.

    Wenn ein Spieler mit seinem OP-Artefakt alle Spielsituationen alleine lösen kann, ist das natürlich schlecht.

    Andererseits kann man als SL auch gezielt OP-Zeug vergeben, um die Einflussmöglichkeiten der Charaktere wieder auszugleichen. Besonders, wenn das Regelsystem beschränkt, wer was verwenden kann.

    Wenn z.B. Äxte und Schwerter völlig getrennt gesteigert werden, und der Axt-Spezialist bisher ein deutlich besserer Kämpfer war als der Schwertkämpfer (eventuell wegen ausgewürfelter Charaktere oder besserem min-maxing), könnte das OP-Schwert das Verhältnis ausgleichen oder umdrehen, weil es für den Axt-Kämpfer relativ nutzlos ist, weil er damit durch geringen Skill trotz OP weniger trifft als mit seiner Axt. Und damit könnte dann der bereits langsam frustriert werdende Schwertkämpfer-Spieler wieder seine Glanzmomente bekommen. In diesem Fall würde ich den Spielern explizit sagen, warum ich das mache, damit dann hoffentlich nicht umgekehrt der Axtkämpfer allzu frustriert ist ("da mixmaxe ich wie verrückt und dann das...")

    Außerdem kann man in levelbasierten Systemen darauf vertrauen, dass das magische Item, das jetzt OP ist, nach einer Weile wieder ein Standard-Item wird.

    Man kann es auch wie das Cypher-System machen und ganz bewußt Gegenstände vergeben, die inheränte Charakterfähigkeiten deklassieren, diese Gegenstände dann aber mit begrenzter Nutzbarkeit ausstatten. Dann kann der Besitzer halt mal in einer brenzligen Situation die Gruppe damit retten (oder einfach nur einen furchtbar lustigen Gag produzieren), ohne dass das OP-Item auf die Kampagne langfristig nennenswerten Einfluss hat. Außerdem bekommen dort alle regelmäßig OP-Item-Ersatz und können Items nicht horten, so dass eben wieder jeder seine Glanzmomente bekommen kann und zum Einsatz dieser tollen Items, auch wenn man es später vielleicht noch brauchen könnte, animiert wird.

    In C&C habe ich z.B. auch explizit Glückswürfe dazu, mächtigere (und zum Charakter passende) Items zu finden. Das ist bei mir Teil der Balance der Charisma-Ability. Ein Kämpfer, der viel Cha aber weniger, sagen wir, Dex hat, wird zwar seinem Kollegen anfangs unterlegen sein, dafür findet er vermutlich irgendwann geiles Zeug, mit dem er dann glänzen kann, zumindest für eine Zeit (und weil Cha auch beeinflusst, wieviel magische Gegenstände ein Charakter an sich binden kann, wird auch die Situation abgeschwächt: "Gib die neue geile Waffe, die du gefunden hast, doch dem anderen, bessern Kämpfer, bei dem bringt sie mehr").

  • Wenn alle Spieler, wie in meiner Definition, mit ihrem Charakter was sinnvolles und entscheidendes zum Abenteuer beitragen können, sind alle Spieler zufrieden (außer ohnehin problematischen Spotlight Hogs, oder teilweise einem "I just want to hang out with you guys"-Spieler). Und das ist am Spieltisch eines der wichtigsten Ziele.

    Aber diese Form der Balance kann kaum oder gar nicht ein System leisten. Diese Form der Balance muss eigentlich der SL gewährleisten. Und das ist leider nicht immer so leicht machbar ohne das es eventuell so wirkt als ob der SL diese Situation nur herbeigeführt hat damit ein gewisser Charakter auch mal glänzen kann.

    Ich persönlich muss gestehen das ich, was das betrifft wohl nicht der beste SL bin. Außerdem widerstrebt es mir eine Szene nur deshalb einzubauen damit ein einzelner Spiele seine Freude hat wenn diese Szene deplatziert für mich wirkt.

  • Aber diese Form der Balance kann kaum oder gar nicht ein System leisten. Diese Form der Balance muss eigentlich der SL gewährleisten. Und das ist leider nicht immer so leicht machbar ohne das es eventuell so wirkt als ob der SL diese Situation nur herbeigeführt hat damit ein gewisser Charakter auch mal glänzen kann.

    Ich persönlich muss gestehen das ich, was das betrifft wohl nicht der beste SL bin. Außerdem widerstrebt es mir eine Szene nur deshalb einzubauen damit ein einzelner Spiele seine Freude hat wenn diese Szene deplatziert für mich wirkt.

    Bis zu einem gewissen Grad kann das schon das System.

    Besonders natürlich dann, wenn ein System vorgefertigte Abenteuer bietet, die auch von vielen SLs angenommen werden.

    Aber auch einfach dadurch, indem man explizit macht, für was für einen Spielstil ein System gedacht ist und für was für einen nicht.


    Das erwähnte D&D4 ist z.B. extrem stark auf einen ganz bestimmten Spielstil gemünzt, in dem es dann auch wikrlich sehr gut und balanciert funktioniert, nur in anderen Spielstilen kackt es dann ziemlich ab (und der Spielstil ist auch für die meisten Rollenspieler nicht besonders interessant; als langsame Einführung für Neulinge, die viel Computer-RPGs oder Brettspiele gespielt haben, passt es wohl ganz gut)


    Das Manko ist eher, dass viele System nicht angeben, wofür sie geeignet sind, oder oft sogar behaupten, dass sie für jeden oder zumindest fast jeden Spielstil geeignet sind, was meistens nicht stimmt.

    Bei D&D und DSA ist das meiner Meinung nach z.B. sehr stark spürbar. Einerseits, weil sie für viele Leute in ihren jeweiligen Kulturkreisen halt der Inbegriff des Rollenspiels sind, zu dem gegriffen wird, ohne sich weiter Gedanken zu machen. andererseits, weil die einzelnen Editionen teilweise auf merklich unterschiedliche Spielstile ausgelegt sind, was, denke ich, viel zu den extremen "Edition Wars" beiträgt.

    Beispiel D&D:

    • OD&D und BD&D: Extrem improvisationsorientiert mit minimalen Regeln, sehr tödlich, wenig heldenhaft
    • AD&D 1&2: Ursprünglich gezielt für Convention Play designed: Regeln für alles, damit Fairness und Vergleichbarkeit auf Conventions gewährleistet ist, wenn mehrere Gruppen schauen, wie weit sie jeweils im gleichen Abenteuer kommen; Balance zwischen Klassen etc. vor allem mit Hinblick auf damals typische Convention-Abenteuer
    • D&D 3.x: Auf maximale Anzahl an Charakterbauoptionen ausgelegt, extremes Min-Maxing mit eingebaut; sehr vielseitig aber extrem unbalanciert, vor allem mit dem (finanziell gewollten) Wildwuchs an Ergänzungsbänden; geradezu lächerlich heldenhaft bei höheren Levels oder einfach nur sehr gutem minmaxing
    • D&D 4: Dungeon-Crawler-Brettspiel mit ein bisschen Rollenspiel zum drüberstreuen; Spieler-Gewinn ist mechanisch extrem wahrscheinlich
    • D&D 5: Irgendwie ein "Durchschnitt" vorheriger Editionen; tatsächlich für die meisten Leute halbwegs passend, aber auch selten so "passend wie die Faust aufs Aug"; sehr heldenhaft, Spielergewinn ist mechanisch sehr wahrscheinlich
  • Ein Vorwort zu meinen ganzen folgenden Antworten: Balance halte ich persönlich für etwas doch relativ subjektives. Wenn man nach meiner Eingangsdefinition "Ein System ist balanciert, wenn effektives Spiel interessant ist." geht, dann kann man sich natürlich die Frage stellen "Interessant für wen?", und unterschiedliche Leute werden da unterschiedliche Antworten drauf geben, selbst wenn sie meiner Definition zustimmen würden. Alles was ich im folgenden über Balance sage kann daher nur meine persönliche Meinung sein.



    Für mich ist also Balance in einem PnPRPG dann erreicht, wenn die Geschichte, die ich erzähle, durch die Mechanik unterstützt wird. Je weniger ich an der Mechanik basteln muss, umso besser ist die Balance. Zum Beispiel in 5e beginnen meine Abenteurer auf Stufe 3 wo das Kräfteverhältnis zwischen der Welt und beginnenden Abenteurern meiner Meinung nach gut passt.


    Ich persönlich bin auch der Meinung, dass die Mechanik zur Geschichte passen sollte. Für mich ist das aber was anderes als "Balance", was man durch folgendes Beispiel verdeutlichen könnte: In legend of the five rings gibt es unterschiedliche Schulen für Magieanwender, die alle bestimmte Spezialfähigkeiten haben. Es gibt aber eine Schule, die *die* Schule für Magieanwender ist, berühmt dafür, dass ihre Leute die Besten von allen sind. Wenn du dir daher beim Charakterbau einen Magieanwender bauen willst, dann wirst du deutlich mächtiger sein, wenn du dich für diese Schule entscheidest, als für irgendeine andere Schule.

    Passt es zur Geschichte, dass Leute von dieser Schule besser sind als alle anderen? Ja, definitiv. Dafür ist diese Schule ja berühmt, also macht es aus Ingame-Sicht Sinn, dass ihre Schüler besser sind. Ist es balanciert? Nein, weil wenn Leute effektiv spielen wollen, dann werden sie niemals Schüler aus irgendeiner anderen Schule spielen. Wenn alle SC-Magieanwender *nur* aus der besten Schule kommen, und die ganzen anderen Schulen mit ihren zwar einzigartigen aber weniger mächtigen Spezialähigkeiten einfach ignoriert werden, dann halte ich das nicht wirklich für interessant... Und wenn effektives Spiel nicht interessant ist, dann ist das laut meiner Definition nicht balanciert.



    Wie man gute Balance erkennt, hab ich schon eingangs erwähnt, aber ich geh vielleicht auf meine Perspektive auf die technische Seite ein. Balance kann nur dann hergestellt werden, wenn die Geschichte und Erzählung das auch unterstützen. Wenn Orks unzerstörbare Super-Mutanten sind und ich kann sie als Spieler Scharenweise ausmerzen, na ja, da brauch ich nicht an den Werten herumschrauben, das wird sich nie balanciert anfühlen. Es ist vielleicht im Spielsystem ausgeglichen, aber das ist für mich keine Balance. Zumindest nicht im PnPRPG, im Wargaming schaut das natürlich anders aus.


    Vermutung: Einer der Gründe, warum so viele Leute *gegen* Balance im P&P argumentieren (auch wenn das in diesem Thread jetzt noch niemand gemacht hat), ist genau deswegen: "Balance" wird als etwas gesehen, was die Stimmung der Welt kaputt macht, weil Dinge numerisch gleichwertig gemacht werden, die es vom Hintergrund her nicht sein sollten. Ich persönlich bin auch der Meinung, dass man den Hintergrund möglichst gut abbilden sollte, und bei NSCs sollte man sich da auch nicht von "Balance" abhalten lassen. Bei den Spielercharakteren bin ich aber der Meinung, dass sie bei gleicher Erfahrung auch tatsächlich numerisch gleichwertig sein sollten, wenn nötig auch auf Kosten der Hintergrund-Plausibilität.



    Ich würde Balance in Rollenspielregeln so sehen, dass jeder mögliche Charakterbuild über den Gesamtverlauf einer typischen Kampagne, für die das Speilsystem ausgelegt wurde (oder eines Spielabends, wenn das System auf one-shots abzielt), ähnlich viel zum Ergebnis beitragen kann.


    Mit so einer ähnlichen Definition habe ich auch lange Zeit gearbeitet, und ich bin immer noch der Meinung, dass das der *wichtigste* Teilbereich von Balance im P&P-Rollenspiel ist: Unterschiedliche Charakterbuilds sollten (auch wenn man auf Effektivität spielen will) jeweils signifikant etwas beitragen können. Meine Definition im Eingangspost ist ein bisschen anders: Es inkludiert immer noch die Implikation, dass verschiedene Charakterbuilds aus Effektivitäts-Sicht viable sein sollten, weil wenn alle immer nur den selben Build spielen, dann wäre das ja fad und damit uninteressant.

    ...Andererseits verlangt diese neue Definition aber auch nicht, dass *jeder* Build gleich viel beitragen können muss. Wenn man in einer sehr Kampf-lastigen Runde alle seine Punkte in Kunst, Philosophie und Kochen steckt, dann hat man zwar vielleicht einen sehr interessanten Charakter, aber es wird nicht erwartet, dass dieser Charakter das selbe zum Ergebnis beitragen kann wie ein Kämpfer, damit das System "balanciert" sein darf. Das System ist balanciert, wenn Leute, die auf Effektivität spielen wollen, eine Auswahl aus ausreichend vielen interessanten Builds vorfinden, die alle viable sind. Wenn auch der künstlerisch begabte Philosophen-Koch irgendwie viable ist in dem System, dann super, aber ich glaube es ist vom System-designer dann doch ein bisschen viel verlangt, das *vorauszusetzen* als Kriterium, damit das System als balanciert gelten darf. Weil die realistische Alternative ist, dass der Systemdesigner dann her geht und fixe getrennte Punkte-Budgets für "Kampf-Fähigkeiten" und "Nicht-Kampf-Fähigkeiten" vergibt, um "Balance" sicherzustellen, und ich persönlich bin dann halt irgendwann zu der Ansicht gekommen, dass das halt doch eine ziemliche Einschränkung ist für die Charakterkonzepte und Hintergründe, die in diesem System potentiell dargestellt werden können... Wobei ich mir an diesem Punkt selber noch nicht so ganz sicher bin, also ftzk.

    Mit meiner Definition muss man sich auch nicht lange mit "Aber es hängt doch stark vom Abenteuer ab, wie effektiv diese ganzen Fähigkeiten sind?" herumschlagen. Solange die Fähigkeit von einem playing to win Spieler als nützlich genug zum Lernen erachtet wird, trägt sie zur Vielfalt der Charakterbuilds des Systems und damit zu dessen "Interessantheit" bei. Wie oft sie dann tatsächlich angewendet wird, hat dann nix mehr mit der Balance vom System zu tun, sondern mit dem SL der konkreten Runde. Es kann übrigens durchaus der Fall sein, dass sehr mächtige und nützliche Fähigkeiten niemals tatsächlich zum Einsatz kommen: Wenn man unsichtbares sehen kann (und das auch bekannt ist), dann werden sich Gegner wohl nicht die Mühe machen, Unsichtbarkeit gegen die Gruppe zu verwenden. Es könnte daher der Eindruck entstehen, dass "Unsichtbares sehen" eine nutzlose Fähigkeit ist, weil sie ja nie zum Einsatz kommt. Würde ich als playing to win Spieler diese Fähigkeit trotzdem lernen? Absolut. Nicht ohne Gegenmaßnahmen gegen unsichtbare Gegner kämpfen zu müssen ist *verdammt* viel wert. Das ist die Art von Fähigkeit, die man lernt, um sie *nicht* anwenden zu müssen. :P

    Es gibt noch einen weiteren Punkt, der für meine Definition relevant ist: Gehen wir mal davon aus, wir haben eine Gruppe bestehend aus einem Waldläufer, einem Alchemisten, einem Magier und einem Dieb. Diese Gruppe hat erkannt, dass sie so gut wie alle Kämpfe gewinnen oder umgehen kann, indem sie den Gegnern einfach vorher Abführmittel ins Essen mischen. Der Waldläufer sammelt die Zutaten, der Alchemist stellt daraus das Mittel her, der Magier castet Invisibility auf den Dieb, und der Dieb schleicht sich dann in's Lager der Gegner und mischt es ihnen ins Essen. Mit dieser Strategie hat die Gruppe konsistenten Erfolg bei all ihren Vorhaben, die normalerweise Kämpfe erfordern würden... Weil laut den den Regeln gibt's nicht viel, was die meisten Gegner dagegen tun können. Und jetzt stellen wir uns die Frage: Ist dieses System balanciert? Jeder Charakter in der Gruppe hat einen sehr unterschiedlichen Build, und trägt trotzdem signifikant zum Erfolg bei. Andererseits: Wenn man mit dieser Strategie garantiert alle Kämpfe gewinnen oder umgehen kann, dann ist es nicht mehr wirklich interessant, oder? Persönliche Meinung von mir: Die Abführmittel-Strategie ist zu ovepowered, und daher ist das System nicht balanciert, auch wenn viele verscheidene Charakterbuilds viable sind.

  • Wenn man in einer sehr Kampf-lastigen Runde alle seine Punkte in Kunst, Philosophie und Kochen steckt, ...


    Das würde ich eher als Vorbereitungs- als als Systembalancefehler sehen. Auch wenn nicht das falsche System für den intendierten Einsatz gewählt wurde, weil genug Möglichkeiten für valide kampflastige Builds zur Verfügung stehen, wurde der Charakter offenbar nicht passend für die geplante Runde gebaut. Ob jetzt der SL seine Intention nicht klar gemacht hat oder der Spieler partout auf stur geschalten und der SL den Charakter dann zugelassen hat, obwohl er nicht passend ist, ist da nebensächlich.

    Wenn ich ein Kampfabenteuer leite in einem System, das nicht notwendigerweise für den Kampf nützliche Fähigkeiten bei allen Charakteren erzwingt, würde ich wohl in der Vorbereitung sowas sagen wie: "Alle Charakter müssen im Kampf zumindest so effektiv sein wie ein durchschnittlicher, ausgebildeter Berufsssoldat. Der hätte die Werte [Systemwerte einfügen]. Charaktere dürfen auf diese Mindestwerte nur verzichten, wenn sie andere Fähigkeiten haben, mit denen sie in den meisten Kämpfen zumindest so effektiv sind wie ein Berufssoldat. [Kampfzauber, starke Guppen-Buffs, je nach System halt]". Und dann halt die Charaktervorschläge entsprechend kontrollieren.


    Ja, das überträgt Verantwortung vom Systemdesigner auf den jeweiligen Spielleiter, und man kann sagen, dass das für balancierte Regeln nicht passieren darf. Daher hab ich in meiner Balance-Definition ja den intendierten Einsatz des Systems drinnen. Wenn das System spezifisch für interessante Kampfabenteuer entwickelt wurde, und dann kampfunfähige SC-Builds möglich sind, kann man das als Designfehler bezeichnen. Wenn der SL das System aber abseits des intendierten (und hoffentlich explizit gemachten) Zwecks einsetzen will, dann wäre meiner Meinung nach er dafür verantwortlich, entsprechende Richtlinien zu setzen (wie oben).

    So gesehen wäre meine aktuelle System-Bastelei, Clichés & Critters, übrigens schlecht designed, weil es möglich ist, Charaktere zu bauen, die auf einem Abenteuer nichts taugen. Das nehme ich als Designer aber bewußt und gerne in Kauf, weil ich in diesem System SCs und NSCs nach den gleichen Regeln baue, und nicht jeder NSC in einer zum System passenden Welt kampfstark sein muss. Ich denke aber, es kann Spielern und Spielleitern zugemutet werden, Charaktere nicht so zu bauen, dass sie offensichtlich nicht als Abenteurer geeignet sind (da explizit gemacht wird, dass das die intendierten SCs in diesem System sind).


    Es gibt noch einen weiteren Punkt, der für meine Definition relevant ist...


    Stimmt, die Abwesenheit völlig dominanter Strategien ist natürlich auch ein wesentlicher Punkt für die Balance.

    Dominanz einzelner Builds wird ja auch bei meiner Definition effektiv ausgeschlossen (weil dann die anderen SCs massiv weniger beitragen und glänzen können als der mit dem dominanten Build), aber eine dominante Strategie entstehend aus einer Gruppen-Synergie müsste man bei mir noch extra ausschließen. Bei fodazds Definition wäre die meiner Meinung nach sowieso mit ausgeschlossen.

    Vermutlich könnte man da auch auf Sid Meiers bekannte Definition "Ein Spiel ist eine Folge interessanter Entscheidungen" zurückgreifen (die auch nicht alles abdeckt, aber hier definitiv dienlich ist): Wenn es keine interessanten Entscheidungen mehr ermöglicht, sobald eine ausreichend dominante Strategie gefunden wurde, erlaubt das Regelsystem kein interessantes Spiel mehr, und erfüllt damit seinen Zweck nicht mehr.

    Bis dahin könnte ein System trotzdem gut balanciert gewesen sein, meiner Meinung nach, es hat eben nur einen breaking point, den man, wenn man ihn findet, entweder irgendwie ausbügeln, freiwillig ignorieren oder einfach verbieten muss, oder eben akzeptieren, dass das System seine Schuldigkeit getan hat und ein neues her muss.


    Gerade im Rollenspiel, besonders in Welten stärker abseits unserer eigenen, wird ein guter SL aber oft einen Weg finden, dass eine dominante Strategie eben nicht immer funktioniert. Das macht natürlich das System nicht besser, erlaubt aber zumindest eine weitere Nutzung, ohne den Schwachpunkt gleich zu verbieten. Es spricht z.B. nichts dagegen, Hindernisse, die sich mit der dominanten Strategie wie üblich lösen lassen, bei der Ankündigung der Spieler, eben diese zu nutzen, einfach mit "Ok, ihr könnt dieses Hindernis problemlos beseitigen, auf zum nächsten." abzuhandeln und zu einem anderen zu kommen, das sich nicht so lösen lässt. Selbst, wenn 2 von 3 Hindernissen auf dem Weg auf diese Weise irrelevant werden, dürfen sich die Spieler eben über ihre clevere Strategie freuen und bekommen dann beim dritten dafür ordentlich eingeschenkt, wo sie eben aus verschiedenen Gründen nicht anwendbar ist.


    Hier kann man natürlich streiten, ob es im Rollenspiel die Zuständigkeit eines Systemdesigners ist (oder überhaupt möglich ist, wenn ansonsten interessante Entscheidungsmöglichkeiten geboten werden sollen), sämtliche Exploits von vornherein zu finden und auszuschließen.

    Ich würde hier sagen: Nein, ist es nicht, solange die Lücken nicht einfach zu finden sind. Es gibt ja auch abseits vom P&P-Rollenspiel genug Spiele, die an sich sehr gut sind, aber durch einzelne Exploits komplett gebrochen werden können, die aber trotzdem noch gespielt werden und einen guten Ruf haben. Es ist dann eben den Spielern überlassen, einmal einen Exploit anzuwenden und sich stark vorzukommen, und es ein andermal nicht zu tun, weil man mehr Herausforderung sucht. Solange man damit niemand anderem den Spielspass nimmt (also nicht z.B. in kompetitiven Spielen, wo nur einer Seite die klar dominante Strategie zur Verfügung steht), sehe ich das nicht als großes Problem an.

  • Das würde ich eher als Vorbereitungs- als als Systembalancefehler sehen...


    Ja, das sehe ich genau so. Wenn ein System davon ausgeht, dass die meisten Abenteuer sehr kampflastig sein werden, dann würde ich es zwar schon als wünschenswert ansehen, bei allen SCs ein bisschen Kampfkraft vorauszusetzen, aber man muss jetzt nicht erzwingen, dass *alle* möglichen Charakterbuilds in dem System die selbe Kampfkraft haben. Solange es genug verschiedene effektive Kämpfer-Builds zur Auswahl gibt, die alle etwa gleich gut sind, und es für den Spieler nicht unnötig schwierig ist, die zu finden, ist die Balance meiner Ansicht nach in Ordnung, auch wenn's ein paar Builds gibt, die halt weniger gut sind. Hier ist es dann meiner Meinung nach wünschenswert, Mechanismen zu haben, um eine permanente Verskillung des Charakters zu verhindern (beispielsweise indem man bereits gelernte Skills wieder verlernen kann, um die Punkte wieder frei zu machen), aber das sind dann schon Details.

    Ich will hier übrigens definitiv NICHT sagen, dass es was gutes ist, dass manche Kämpfer-Builds schwächer sind als andere. Idealerweise wären sie natürlich alle exakt gleich gut... Aber die Realität vom Systemdesign ist halt, dass man das oft ganz einfach nicht hinkriegt, und man sich mit einem "ungefähr gleich gut" wohl zufrieden geben muss. Es kann ja durchaus interessant sein, einen Kämpfer zu spielen, der *generell* weniger gut ist als die meisten anderen, dafür aber interessante Spezialfähigkeiten hat oder so. Solange man immer noch die Kämpfer-Rolle erfüllen und dabei ordentlich was beitragen kann, ist das in Ordnung aus Balance-Sicht... Auch wenn's natürlich besser wäre, wenn man dabei generell gleich gut wie andere Kämpfer-Builds ist.



    Bis dahin könnte ein System trotzdem gut balanciert gewesen sein, meiner Meinung nach, es hat eben nur einen breaking point, den man, wenn man ihn findet, entweder irgendwie ausbügeln, freiwillig ignorieren oder einfach verbieten muss, oder eben akzeptieren, dass das System seine Schuldigkeit getan hat und ein neues her muss.


    Persönliche Meinung von mir: Wie balanciert ein System ist, ist auf den ersten Blick oft nicht so ganz ersichtlich. Wenn man also eine dominante Strategie findet, dann hat man damit herausgefunden, dass das System nicht balanciert ist, und auch nie balanciert war - nur hat man das bisher halt nicht wissen können. Und ja, man *kann* dominante Strategien "freiwillig ignorieren", aber das macht halt das System nicht balanciert. Um balance herzustellen, muss man die dominante Strategie irgendwie fixen oder verbieten... Und ich persönlich bin da auch kein großer Fan von "Der SL wird schon irgendwie sicherstellen, dass die dominante Strategie nicht ganz so dominant ist".



    Hier kann man natürlich streiten, ob es im Rollenspiel die Zuständigkeit eines Systemdesigners ist...


    Persönliche Meinung von mir: Ja, es ist die Zuständigkeit des Systemdesigners, dass im System keine Exploits drin sind. Es ist zwar realistisch nicht erwartbar, dass alle Exploits schon im vorhinein gefunden und gefixed werden können, aber sobald sie bekannt sind, kann das System zu Recht als unbalanciert bezeichnet werden... Zumindest bis der Systemdesigner sich Gedanken gemacht hat, wie man diese Exploits idealerweise fixen kann, und dann die Fixes entsprechend einbaut. Im P&P halte ich die Argumentation von "Man *muss* die Exploits ja nicht verwenden!" halt für ein bisschen deplatziert, weil P&P inheränt eine "Multiplayer"-Erfahrung ist. Was wenn einer der Spieler sich stark vorkommen will und ein anderer da was dagegen hat? Im P&P sind die Regeln dazu da, eine gemeinsame Basis zu schaffen für das, was in dieser Runde gemacht werden wird, und wenn sie unerwünschte Exploits enthalten, dann erfüllen sie diese Aufgabe nicht.

  • Tja! Um mal kurz meinen Senf zu der Diskussion hinzu zu fügen:

    Ich habe noch nie verstanden, weshalb die möglichst ausgeglichene Balance in einem System so wichtig sein soll? Gerade das oben erwähnte L5R ist ein Ausbund an Unbalance und trotzdem, oder vielleicht sogar deswegen, wird es gerne gespielt.

    Wenn ich an Rollenspiel wie an einen Wettkampf zwischen den Spielern heran gehe ist Balance wichtig. Ansonsten ist sie nur zum Teil von Interesse. Wenn den Spielern die plausible Darstellung der Welt wichtiger ist gibt es kein Problem. Oder wenn die Spieler wissen, dass die Welt nicht ausbalanciert ist und sie trotzdem darin spielen wollen gibt es ebenfalls kein Problem. Manche Spieler wollen sogar, dass es nicht ausbalanciert ist, weil die Herausforderung steigt oder das System dadurch interessanter wird. Nicht umsonst gibt es genügend Leute, welche absichtlich recht schwache Charakterkonzepte spielen. Oftmals sind diese Charaktere sogar wesentlich schwächer als vom System vorgesehen. Ebenso gibt es Spieler, welche unbalancierte Übermenschen spielen und sich entsprechend hervortun wollen. Manchmal ist es sogar diese fehlende Balance, welche das heraus stechende Merkmal der Welt darstellt.

    Das soll nicht heißen, dass ein gewisses Maß an Balance nicht wichtig und notwendig wäre aber der in der obigen Diskussion vorkommende Wettstreit nach der quasi "perfekten" Balance geht meiner Meinung nach an den Gegebenheiten und der Notwendigkeit eines Rollenspiels vollkommen vorbei.

    Daher ist es meines Erachtens nicht die Pflicht des Systemdesigners für ein hohes Maß an Balance sondern für eine funktionierende Spielwelt und Regeln zu sorgen. Denn selbstverständlich gehört es zur den Aufgaben des des Spielleiters mit den vorhandenen Regeln seine Vorstellungen und die Wünsche der Spieler umzusetzen und wo notwendig anzupassen, zu ändern oder Regeln sogar zu ignorieren. Deshalb gibt es einen Spieleiter. Sonst könnten wir auch gleich Computerspiele oder Tabletop spielen. Dies soll jedoch keine Wertung sein, dass diese Optionen schlechter als Rollenspiel sind. Sie sind nur anders und somit für teilweise unterschiedliche Geschmäcker konzipiert.

    Mein Fazit ist, dass nicht die möglichst perfekte Balance das Entscheidende ist sondern, dass es innerhalb der Gruppe einen überwiegenden Konsens über das Maß der Balance im Spiel gibt. Dann können Alle Spaß am Rollenspiel haben.

  • ...Ok, auf deine Antwort hab ich beim Erstellen dieser Diskussion gewartet, Werner. :P



    Ich habe noch nie verstanden, weshalb die möglichst ausgeglichene Balance in einem System so wichtig sein soll? Gerade das oben erwähnte L5R ist ein Ausbund an Unbalance und trotzdem, oder vielleicht sogar deswegen, wird es gerne gespielt.


    Wenn die Leute nicht auf Effektivität spielen wollen, und auch kein Problem damit haben, deutlich weniger beitragen zu können als andere Gruppenmitglieder, dann braucht man Balance tatsächlich nicht. Das ist wieder mal eine Frage der Zielgruppe, die das System ansprechen will. Ich glaube aber nicht daran, dass L5R gespielt wird, *weil* es unbalanciert ist. Ich würde es mir seltsam vorstellen sich zu denken "Hey, in L5R gibt's diese eine Magieschule, die viel besser ist als alle anderen Magieschulen! Deshalb will ich jetzt L5R spielen!". Stell dir mal für einen Moment vor, dass die Phoenix-Schule immer noch ihre ganzen Spezialfähigkeiten hat, aber sie ist von der spielmechanischen Effektivität her näher an den anderen Schulen dran. Würde es immer noch Sinn machen, dass die Schule vom Hintergrund her berühmt ist? Ja, würde es. Es wäre immer noch die einzige Schule, die alle Elemente hat, inklusive ihren Void-Castern. Wäre es dann trotzdem interessanter, auch mal jemanden von einer anderen Schule zu spielen? Ja, definitiv.



    Wenn ich an Rollenspiel wie an einen Wettkampf zwischen den Spielern heran gehe ist Balance wichtig. Ansonsten ist sie nur zum Teil von Interesse. Wenn den Spielern die plausible Darstellung der Welt wichtiger ist gibt es kein Problem. Oder wenn die Spieler wissen, dass die Welt nicht ausbalanciert ist und sie trotzdem darin spielen wollen gibt es ebenfalls kein Problem. Manche Spieler wollen sogar, dass es nicht ausbalanciert ist, weil die Herausforderung steigt oder das System dadurch interessanter wird. Nicht umsonst gibt es genügend Leute, welche absichtlich recht schwache Charakterkonzepte spielen. Oftmals sind diese Charaktere sogar wesentlich schwächer als vom System vorgesehen. Ebenso gibt es Spieler, welche unbalancierte Übermenschen spielen und sich entsprechend hervortun wollen. Manchmal ist es sogar diese fehlende Balance, welche das heraus stechende Merkmal der Welt darstellt.


    Bezüglich "Ich baue mir absichtlich einen schwachen Charakter für mehr Herausforderung": Mal angenommen wir sind in einem System, das kampfschwache philosophierende Koch-Künstler erlaubt, und nicht davon ausgeht, dass alle Charaktere die selbe Kampfkraft haben müssen... Was würde in dem Fall dagegen sprechen, einfach weniger Punkte in Kampf-Skills zu stecken, um mehr Punkte wo anders zu haben? In dem Fall spielst du dann einen Charakter mit vielen Nicht-Kampf Fähigkeiten, der im Kampf aber immer noch die größere Herausforderung hat, die du erreichen willst. Die Tatsache, dass das System sicherstellt, dass Charaktere mit ungefähr gleich vielen Punkten in Kampf-Skills auch ungefähr gleich gut im Kampf sind, ist hier überhaupt kein Hindernis für dein Charakter-Konzept. Und wenn du jetzt meinst "Nein, ich will aber in *allem* schlechter sein als andere Charaktere in der Gruppe!", dann kannst du ja immer noch mit deinem jeweiligen SL absprechen, dass du mit weniger Punkten startest. Die meisten SLs dürften da nix dagegen haben vermutlich.

    Würdest du sagen, dass "fehlende Balance" ein heraus stechendes Merkmal der L5R Welt ist? Ich würde das nicht so sehen. L5R wäre in meinen Augen deutlich besser, wenn es balancierter wäre.



    Daher ist es meines Erachtens nicht die Pflicht des Systemdesigners für ein hohes Maß an Balance sondern für eine funktionierende Spielwelt und Regeln zu sorgen. Denn selbstverständlich gehört es zur den Aufgaben des des Spielleiters mit den vorhandenen Regeln seine Vorstellungen und die Wünsche der Spieler umzusetzen und wo notwendig anzupassen, zu ändern oder Regeln sogar zu ignorieren. Deshalb gibt es einen Spieleiter. Sonst könnten wir auch gleich Computerspiele oder Tabletop spielen. Dies soll jedoch keine Wertung sein, dass diese Optionen schlechter als Rollenspiel sind. Sie sind nur anders und somit für teilweise unterschiedliche Geschmäcker konzipiert.


    Du tust der Rolle des Spielleiters Unrecht, wenn du meinst man könnte gleich Computerspiele oder Tabletop spielen, wenn man als SL keine Regeln mehr anpassen muss. Als Spielleiter kann man sich Geschichten überlegen, Herausforderungen bieten, die Persönlichkeit der einzelnen Charaktere ansprechen, kreativ und spontan auf unvorhergesehene Aktionen der Spieler reagieren, und noch einiges mehr. Jeweils zugeschnitten auf die individuellen Spieler, die grade am Tisch sitzen. "Die Regeln anpassen" ist etwas, was man als SL machen *kann*, aber ich sehe überhaupt keinen Grund, warum das die zentrale Funktion der Spielleitung sein sollte. Vermutung: Die meisten SLs wären erleichtert, wenn sie sich nicht damit herumschlagen müssten, ständig die Regeln anzupassen, weil sie dann mehr Zeit und Energie auf die Dinge verwenden könnten, die sie *eigentlich* ins Spiel einbringen wollen.



    Mein Fazit ist, dass nicht die möglichst perfekte Balance das Entscheidende ist sondern, dass es innerhalb der Gruppe einen überwiegenden Konsens über das Maß der Balance im Spiel gibt. Dann können Alle Spaß am Rollenspiel haben.


    Wie gesagt: Wenn alle in der Gruppe sich einig sind, dass sie keine Balance brauchen, dann brauchen sie keine Balance. Aber:

    -> Es ist dann doch relativ unwahrscheinlich, dass sich hier alle in der Gruppe immer einig sind, vor allem wenn hin und wieder auch neue Spieler dazu kommen können.

    -> Ich glaube wie gesagt nicht, dass ein gut ausbalanciertes System den Leuten, denen Balance *nicht* wichtig ist, das Spiel verdirbt... Sofern sie nicht einen *sehr* spezifischen Geschmack haben. Und selbst dann kann der SL immer noch unterschiedliche Punkte vergeben.

  • Es sind, soweit ich beim groben drüber lesen mitbekommen habe, schon ein paar verschiedene Konzept von Balance gefallen. Ich würde diese grundlegend noch um ein paar Konzepte aus dem Game Design erweitern, die ich in solchen Diskussionen für eine relevante Basis halte:

    Player Agency

    ... beschreibt die Möglichkeiten, welche Spieler_innen haben um auf die Spielweit Auswirkungen zu zeigen. Dabei geht es allerdings nicht nur um Werkzeuge im Kampf, sondern auch um so grundlegende Sachen wie Kontrolle über die den Charakter (welche ein durchaus breites Spektrum darstellen kann1) oder auch mit wie viel Informationen die Spieler_innen arbeiten können. Gerade im Bezug auf Balance gibts hier zwei Spannungsfelder: Wie viel Agency haben Spieler_innen gegenüber der Spielleitung? Und wie stehen die Möglichkeiten der einzelnen Spieler_innen zueinander?

    Narrative Control

    ... beschreibt den Einfluss, den die Spieler_innen (inkl. SL/GM/MC etc2), auf das Fiktionale Endresultat haben - also auf die Geschichte die nachher erzählt wird. Dabei würd ich auch gleich mal ganz zentral darauf hinweisen, dass fast immer eine große Menge an Narrative Control beim GM liegt - aber natürlich nicht ausschließlich. Es gibt auch Systeme, die größere Teile der Narrative Control an Spieler_innen übergeben (z.B. Flashbacks in Blades in the Dark). Aber auch zwischen Spieler_innen kann die Menge an Narrative Control variieren - beispielsweise hat ein "Face"-Type Charakter mehr Einfluss in Sozialen Szenen. Dabei ist die Balance zwischen Spieler_innen dann zu hinterfragen, wenn über das gesamte Spiel betrachtet einzelne Teilnehmer_innen stark zu kurz kommen. DnD nutzt hier oft auch Niche Protection, und weißt einzelnen Klassen absichtlich ihre eigene Ecke des Spiels zu in denen sie viel Narrative Control haben - zum Beispiel der Ranger im Wilderniss Überleben.

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    [1] Weil die Diskussion auch kurz im Discord aufgekommen ist, würd ich an der Stelle noch kurz erwähnen, dass Kontrolle über den Charakter abgeben nicht unbedingt immer eine Einschränkung von Player Agency darstellen muss. Ein willentlicher Fehltritt - wie beispielsweise in die offensichtlichste Pit Trap fallen, oder absichtlich einen Fluch auf sich zu ziehen - unterstützt Spieler_innen oft darin, die exacte Vision des eigenen Charakters auszuleben.

    [2] Spielleiter_innen sind auch Spieler_innen.

  • Gerade im Bezug auf Balance gibts hier zwei Spannungsfelder: Wie viel Agency haben Spieler_innen gegenüber der Spielleitung? Und wie stehen die Möglichkeiten der einzelnen Spieler_innen zueinander?


    Bezüglich Agency gegenüber der SL: Die meisten Systeme machen da nicht wirklich explizite Angaben meiner Erfahrung nach, daher ist das meistens etwas, was implizit im Rahmen der Gruppe abgeklärt wird (und oft nichtmal das). Wenn die Regeln aber explizit sagen, dass man mit bestimmten Fähigkeiten bestimmte Dinge tun kann, dann ist das in dem meisten Fällen implizit eine Form von Agency gegenüber der SL. Wie schon bei "Combat as Sports" vs. "Combat as War" besprochen bin ich nicht der Meinung, dass Agency über das Resultat von Kämpfen zwischen SL und dem Rest der Gruppe notwendigerweise balanciert sein muss. Agency gegenüber der SL bezüglich "Kontroller über den Charakter" würde ich persönlich nicht als Balance-Problem einstufen, auch wenn man das natürlich argumentieren könnte, wenn man "Balance" nochmal deutlich breiter definiert als ich.

    Agency bezüglich SCs untereinander ist halt immer heikel, weil wenn jemand die Möglichkeit hat, das Verhalten eines anderen Charakters zu bestimmen, dann schränkt das natürlich automatisch die Agency von jemand anderem ein. Auch das würde ich nicht wirklich als Balance-Problem sehen, auch wenn es ein anderes kontroverses Thema ist.



    Aber auch zwischen Spieler_innen kann die Menge an Narrative Control variieren - beispielsweise hat ein "Face"-Type Charakter mehr Einfluss in Sozialen Szenen. Dabei ist die Balance zwischen Spieler_innen dann zu hinterfragen, wenn über das gesamte Spiel betrachtet einzelne Teilnehmer_innen stark zu kurz kommen. DnD nutzt hier oft auch Niche Protection, und weißt einzelnen Klassen absichtlich ihre eigene Ecke des Spiels zu in denen sie viel Narrative Control haben - zum Beispiel der Ranger im Wilderniss Überleben.


    Persönliche Meinung von mir: Man kann auch bei narrative Control von Balance reden. Das heißt dann oft "Spotlight-Balancing". Das ist ein anderer Balance-Begriff, als der von mir hier verwendete, auch wenn wie viel "Spotlight" man kriegt natürlich dazu beitragen kann, wie interessant man das Spiel findet. Es gibt aber auch Leute, die gar keine narrative Control *wollen*, zumindest nicht mit ihrem aktuellen Charakter. In dem Fall ist es natürlich kompliziert, hier "Spotlight-Balancing" zu betreiben.

  • Es gibt aber auch Leute, die gar keine narrative Control *wollen*, zumindest nicht mit ihrem aktuellen Charakter. In dem Fall ist es natürlich kompliziert, hier "Spotlight-Balancing" zu betreiben.

    Ja, dass passiert natürlich durchaus. Einerseits gibts Spieler_innen, die eher eine konsumierende Beziehung mit dem Spiel haben - da macht natürlich das Verteilen von Kontrolle über die Geschichte nur wenig Sinn. Ich denke aber, dass solche Spieler_innen auch eher dazu tendieren keine Aufmerksamkeit in die diveresen anderen Aspekte von Balance zu legen.


    Bezüglich Agency gegenüber der SL: Die meisten Systeme machen da nicht wirklich explizite Angaben meiner Erfahrung nach, daher ist das meistens etwas, was implizit im Rahmen der Gruppe abgeklärt wird (und oft nichtmal das).

    Hmm - das kommt natürlich auf das System an. DnD 5e versucht sowas ja beispielsweise mit dem Challenge Rating (wenn es als echte Hard Rule gehandhabt werden würde), indem die Mechanische Kapazität des SL* beschränkt wird und dadurch im Gegenschluss die Agency die Spieler_innen haben eingelotet wird.