Nachdem du dich auf meine Discord-Nachrichten beziehst, sollte ich da wohl auch was dazu sagen 
Dazu möchte ich noch vorausschicken, dass ich eine Ausbildung als (Computer-)Spieleentwickler habe und dementsprechend auf eine andere Art an Game Design herangehe als normale Spielende. Für mich ist Flavor völlig egal, ob ein System gut oder schlecht ist, ich schaue immer auf die Strukturen darunter.
Meine Kritiken an D&D5e (in zufälliger Reihenfolge):
- Es ist ähnlich wie Cypher ein System eines Designers, der nur crunchy Systeme kennt, ein rules light-System zu entwickeln. Das hat einige Auswirkungen, die in den folgenden Punkten beleuchtet werden.
- D&D war immer schon ein System der Kategorie, die ich „exhaustive“ nenne. Das heißt, das System definiert explizit alle Interaktionsmöglichkeiten, die ein Spieler haben kann. Mein Lieblingsbeispiel dazu ist die Perception-Tabelle von Pathfinder (link). Die Tabelle definiert genau den Wurf, den ein PC schaffen muss, um in jeder beliebigen Situation etwas wahrzunehmen. Da gibt es Modifier für jede Kleinigkeit, zB. das Wetter, ob man schläft, ob da eine geschlossene Tür dazwischen ist, wie weit es entfernt ist, etc.
D&D5e hat diesen Crunch entfernt, aber stattdessen nur eine Leere gelassen. Skillchecks sind immer noch mathematisch exakt definiert, aber der DM hat keinerlei Anhaltspunkte, wie hoch der DC sein soll. Meine Erfahrung ist, dass DMs dann bei Perception immer den DC auf 8-12 stellen, wenn sie wollen dass die PCs etwas mitbekommen und 18-22, wenn sie es nicht wollen. Da kann ich mir das gleich sparen.
Als Gegenbeispiel möchte ich da Powered by the Apocalypse bringen: In dem System gibt es nur einen einzigen Flat Roll, der vielleicht noch durch Fähigkeiten bzw. der Umgebung modifiziert ist (aber meistens nicht ist). Man würfelt 2d6, und 7-9 ist ein partial success und 10+ ist ein success. Der GM braucht sich da nichts aus den Fingern saugen, obwohl genauso wenig vom System her definiert ist.
- D&D3.5 hatte eine (IMO viel zu lange) Skillliste, und man hat bei jedem Levelup Punkte an Skills vergeben. Dadurch konnte man den Charakter sehr stark an persönliche Präferenzen anpassen. In 5e gibt es die Skills noch (nur fehlen ein paar wesentliche), aber man kann keine Punkte mehr vergeben. Dadurch grundelt man auf allen Leveln auf sehr niedrigem Nivau herum, ein DC20 Skillcheck ist auf Level 16 fast immer genau so schwer als auf Level 1 (außer man hat Proficiency, aber das ist bei fast allen Klassen nur für sehr wenige Skills). Das bedeutet dann, dass der dazu geworfene d20 massiv mehr Auswirkungen hat. Wenn der Level 16-Charakter eine 5 auf den Perception-Skillcheck würfelt, sieht er den Drachen vor seiner Nase nicht. Wenn der Level 1-Charakter eine 20 auf Stealth würfelt, kann er auf der Nase des Drachens eine Akrobatik-Vorführung veranstalten und der merkt es nicht. Es ist alles einfach nur Random, und dadurch fühlen sich auch alle PCs sehr gleich an.
- Die Klassen erlauben kaum persönliche Anpassungen. Es gibt zwar bei allen diese Unterteilung auf Level 3, aber erstens sind das immer nur so um die 3-5 Auswahlmöglichkeiten, und zweitens haben die nicht wirklich viel Auswirkungen. Ein Warlock wird sich immer sehr gleich anfühlen, egal welcher Warlock das ist. Als Spieler kommt es mir immer so vor, dass ich einfach in eine Schiene gepresst werde, die jemand anderer gelegt hat. Ich kann meine eigenen Ideen nicht einbringen (wie zB. durch Skillpunkte etc), weil alles fix vorgegeben ist. Grade dass mir das Buch nicht vorgibt, welche Phrasen ich sagen soll etc.
- 5e hat das System von Advantage/Disadvantage eingeführt, um Situationsboni zu ersetzen und die Sache zu vereinfachen (siehe Perception-Liste aus Pathfinder). Das ist halt ein sehr großer Hammer, mit dem alles erschlagen wird. Wenn man Disadvantage auf einen Wurf hat, kann man so gut wie alles vergessen, da wird nichts gutes rauskommen. Wenn man Advantage hat, ist man plötzlich der Meister. Eine Quelle von Disadvantage gleicht aber 15 Quellen von Advantage aus, was komplett unintuitiv ist.
- Das führt gleich zum nächsten Punkt, Exhaustion. So Dinge wie Vergiftungen und Paralyse sind leicht weg zu machen, aber wehe man bekommt Exhaustion. Das klebt an dem PC mehrere Sessions lang, ist so gut wie nicht zu entfernen außer durch eine lange Rast (die von externen Faktoren bestimmt wird) und macht den Charakter bis zur Entfernung komplett nutzlos, weil keine Skillcheck mehr gelingen kann (siehe voriger Punkt). Das ist nicht nur frustrierend für den Spielenden, sondern auch für den DM, weil nichts mehr weitergeht.
In meiner vorigen Kampagne hatte ich mal eine Situation, wo mein PC ein langes Seil raufklettern wollte. Auf der halben Strecke hat der DM dann gemeint, dass ich Exhaustion bekomme davon. Meine Reaktion war, dass ich deklariert habe, dass mein PC bevor das passiert sich lieber fallen lässt, weil Fallschaden kann man leicht wegheilen, aber die Exhaustion bleibt.
- Die Backgrounds fühlen sich wie Fahrradstützen an, um Neulinge dazu zu bringen, sich etwas Gedanken über die Vorgeschichten ihrer Helden zu machen. Das wäre eine gute Idee, wenn sie nicht zu fix mit den Mechaniken verankert wären und daher nicht optional. Alle diese Background sind irgendwelche Tropes, die man schon tausendfach gesehen hat und dementsprechend langweilig sind. Wenn man da irgendwie ausbrechen will, hat man zwei Optionen: entweder man nimmt irgendeinen Background und ignoriert ihn, oder man setzt sich den Game Design-Hut auf und fängt an, die Arbeit zu machen, die eigentlich Wizards of the Coast hätte machen sollen und designt einen neuen Background (wo man dann mit dem DM verhandeln muss, ob das so ok ist). Ich will von einem System, das ich spiele, nicht bevormundet werden, wie die Hintergrundgeschichte von meinem Charakter auszusehen hat.
- 5e leidet auch etwas an der Legacy, die es immer noch mit sich herumschleppt. Beispielsweise ist der Spell Fireball nur deswegen so mächtig nur low level, weil er der signature spell von D&D ist. Er haut die eh schon nicht so tolle Balance des Systems komplett durcheinander. Außerdem macht die Trennung in Attribute Stat und Attribute Bonus überhaupt keinen Sinn, das stammt noch aus der Zeit wo Saves ein roll under-System hatten (wo man unter seinen entsprechenden Attribute Stat würfeln musste).
Abschließen möchte ich anmerken, dass ich kein absolutes Lieblingssystem habe, das ich für alles einsetze. Ich kenne ein paar System recht gut, und versuche immer, das beste System für die Art von Geschichte zu finden, die ich erzählen will. Mein persönliches Problem mit D&D5e ist, dass es eigentlich nie das beste System für irgendeine Art von Geschichte ist, aber wenns jemand verwenden will ist es mir auch egal. Was mich nur wirklich stört ist, wenn jemand versucht, D&D5e für andere Genres oder Settings zu verwenden, also sowas wie „Ich will eine Detektivgeschichte mit D&D5e machen, wie mach ich das?“ oder „Mein Cyberpunk-SciFi-Abenteuer wird mit den D&D5e-Regeln laufen!“. Nein, das funktioniert so nicht. 5e ist für mittelalterangelehnte High Fantasy-Heldengeschichten designt. Für alles andere muss man das System von Grund auf neu aufbauen (zB. komplett neue Rassen, Klassen, Spells, Backgrounds, Skills, …), und dazu sollte man vorher eine Ausbildung als Game Designer machen, sonst wird einem nicht mal die Komplexität bewusst.
Auf was das hinausläuft ist, was ist eigentlich die Zielgruppe für D&D5e? Anfänger sind es nicht, weil dann müsste man die Legacy nicht mitschleppen. Erfahrene Leute sind es auch nicht, weil dann bräuchte man die Backgrounds nicht, und solche Spieler werden durch die same-y Klassen auch sehr eingeschränkt. Vielleicht Leute, die schon etwas erfahrener sind, aber das ganze mehr als ein seltsames Brettspiel, das sie alle paar Monate mal auspacken, sehen?