Hallo.
Ich hab jetzt schon lange keinen rantigen Post mehr geschrieben bezüglich meiner Probleme mit meinem blöden Rollenspielsystem, also hab ich mit gedacht ich weihe dieses Forum mal damit ein. Mein Problem kommt immer wieder darauf zurück, dass mein System so schnell so komplex wird, dass es für den tatsächlichen Einsatz am Spieltisch nicht mehr geeignet ist. Daher kriege ich von potentiellen Spielern auch meistens ein "Ist viel zu kompliziert!". Aber selbst mit diesen viel zu komplizierten Versionen bin ich dann oft selber überhaupt nicht zufrieden, weil sie viele von mir gewünschten Eigenschaften immer noch nicht erfüllen. Dieser Widerspruch zwischen "Ich will ein interessantes System mit ordentlicher Spieltiefe!" und "...Aber es darf nicht zu komplex sein!" treibt mich schon seit der allerersten Version in den Wahnsinn, und jetzt bin ich glaube ich endgültig so weit, dass ich es aufgebe.
Ich habe nämlich folgendes erkannt: Die Systeme, die für mich interessant sind, und die ich daher als mentale Referenz heranziehe, wenn ich selber ein "interessantes System" machen will, sind (fast) alle am Computer implementiert... Und der Computer hat gegenüber Pen & Paper einen Riesenhaufen Vorteile bei interessanten Systemen, insbesondere bei intessanten Kampfsystemen. Wenn man sich die Kampfsysteme von modernen Computer-Rollenspielen anschaut, dann findet man dort Mechaniken, von denen man im P&P nur träumen kann, und die Kämpfe in diesen Spielen sind demensprechend ganz einfach ungleich interessanter als die Kämpfe, die man in P&P-Rollenspielen typischerweise erlebt (zumindest meiner Meinung nach). Kein einziges dieser modernen Computer-Rollenspiel Kampfsysteme wäre auf P&P übertragbar, weil viel, *viel* zu komplex. Das hätte mir eigentlich von Anfang an klar sein müssen, dass es nicht möglich sein wird, in einem P&P-Kampfsystem die Spieltiefe von einem CRPG-Kampfsystem zu erreichen. oO
Ok, also warum gebe ich nicht einfach das P&P auf und spiele nur noch CRPGs? Neben dem offensichtlichen sozialen Aspekt, der beim CRPG fehlt, gibt es auch so einige Dinge, die das P&P ganz einfach besser macht als das CRPG, vor allem durch die Existenz eines Spielleiters. Interaktion mit NSCs fühlt sich im P&P viel besser an, man kann seinen eigenen Charakter viel besser ausgestalten und darstellen, und man ist im P&P ganz allgemein viel weniger limitiert was die narrativen und hintergrundtechnischen Aspekte angeht. Der Spielleiter kann außerdem seinen Plot spezifisch auf die anwesenden Charaktere und Spieler abstimmen, während ein CRPG meistens auf die "breite Masse" ausgelegt ist.
Was mich zur Frage bringt: Gibt es einen Weg, die Vorteile von CRPGs mit den Vorteilen von P&P zu kombinieren?
Ich glaube, dass die Antwort "ja" ist, aber dass das Ergebnis davon dann nicht mehr wirklich "Pen & Paper Rollenspiel" wäre. Meine derzeitige Idee für Monsterjäger ist, dass ich für mich als Spielleiter ein Assistenten-Programm schreibe, das die ganzen "buchhalterischen" Aufgaben des Spielleiters beim Kampfsystem für mich übernimmt. Ich könnte in diesem Programm auch ein bisschen einfache Gegner-KI implementieren, damit der Computer im Kampf die Gegner für mich spielt, und ich als SL mich damit auf andere Sachen konzentrieren kann. Das wäre für mich keine große Umstellung, weil ich spielleite meistens eh mit Laptop, weil dort auch meine Plotnotizen aufgeschrieben sind.
Der deutlich größere Eingriff wäre bei den Spielern: Anstatt Aktionen im Kampf verbal anzusagen, haben die Spieler eine (von mir geschriebene) App auf ihrem Smartphone, die über WLAN mit meinem Assistenten-Programm kommuniziert. Über diese App können sie Aktionen ansagen und erhalten auch Informationen darüber, was ihr Charakter derzeit vom Kampfgeschehen wahrnimmt. Mit dieser Änderung verabschieden wir uns endgültig von P&P... Aber auf der anderen Seite kann ich jetzt Mechaniken einführen, die in normalen P&P nicht möglich wären. Zum Beispiel:
1.: Informations-Asymmetrie:
Unterschiedliche Charaktere erhalten unterschiedliche Informationen über ihre Umgebung, ob im Kampf oder anderswo. Normalerweise ist es im P&P sehr aufwändig, bestimmte Informationen nur bestimmten Spielern zugänglich zu machen, entweder indem man Zettel schreibt und hin- und her schiebt, oder indem der SL gemeinsam mit dem entsprechenden Spieler den Raum verlässt. Wenn man dem Spieler diese Nachricht einfach auf's Handy schicken kann, dann geht das vermutlich deutlich flüssiger. Auch Regeln für Wahrnehmung vs. Schleichen oder Unsichtbarkeit sind deutlich leichter zu handhaben, wenn man einfach bestimmte Informationen nur bestimmten Spielern zugänglich machen kann statt immer gleich der kompletten Gruppe. Und das sind nur ein paar wenige Beispiele für das Potential hier: Das ganze Konzept von "Spielerwissen von Charakterwissen trennen" ist nur deshalb nötig, weil es im normalen P&P sehr schwer ist, die beiden identisch zu halten. Mit dem Handy ist das deutlich leichter.
2.: Große Gruppen
Warum sind große Spielergruppen (7+) im P&P ein Problem, während man im CRPG/MMORPG problemlos in 24er-Gruppen spielen kann? Weil im P&P nur einer gleichzeitig reden kann, und reden im P&P für die Aktionsansage erforderlich ist. Wenn man eine Handyapp für die Aktionsansage nutzt, dann spricht nichts dagegen, dass sämtliche Spieler gleichzeitig ihre Aktionen "ansagen". Kämpfe werden dadurch nicht langsamer, wenn mehr Spieler daran teilnehmen, zumindest nicht von der spielmechanischen Seite hier. Es ist natürlich immer noch der Fall, dass sich das Spotlight bei größeren Gruppen auf mehr Spieler verteilt, und dass Gruppeninterne Diskussionen potentiell länger dauern, aber wenn man einfach nur einen Abend lang volle Kampfsystem-Action haben will, dann ermöglicht die Handyapp deutlich mehr Spieler gleichzeitig, als das im normalen P&P möglich/sinnvoll wäre. Ich meine, nicht dass "zu große Gruppe" für mich jemals ein Problem war, aber es ist in der Theorie trotzdem ein Vorteil...
3.: Kontinuierliche Räume
Wenn man im P&P mit Battlemaps spielt, dann werden diese meistens in ein Hexgrid oder Quadgrid unterteilt, damit jeder Kampfteilnehmer auf einem eindeutigen "Feld" stehen kann. Die Begründung dafür ist, dass man im P&P nicht wie im Tabletop andauernd Distanzen abmessen will, beziehungsweise dass ohne Grid die Figuren viel zu leicht verrutschen können, falls man überhaupt ausreichend Figuren hat als P&P-Spieler... Mit der Handyapp ist nichts davon ein Problem, weil die App hat keine Probleme damit, Distanzen zu bestimmen und sich die Position der Figuren zu merken. Außerdem kann das Kampfgeschehen klar visualisiert werden, ohne einen Haufen Platz am Tisch für eine Battlemap aufwenden zu müssen.
...Und ich könnte hier noch weitermachen mit diversen anderen Mechaniken oder Konzepten, die durch Computerunterstützung ganz einfach deutlich besser funktionieren, aber ich glaube ihr versteht meine Grundidee.
Das größte Problem daran ist, dass ganz einfach nicht jeder ein Smartphone hat, und mein System daher diskriminierend gegen Leute ohne Smartphone ist. Ich müsste also eine Möglichkeit einbauen, dass smartphone-lose Spieler ihre Aktionen immer noch verbal ansagen können, wenn das erforderlich ist, beziehungsweise Informationen über die Spielwelt verbal oder per Zettel erhalten... Was vermutlich kein so großes Problem wäre, wenn das 1 bis maximal 2 Spieler am Tisch sind, aber bei mehr davon bricht dieses System zusammen, vor allem wenn man die Info-Asymmetrie für interessantes narratives Zeugs ausnutzen will.
Was ist eure Meinung zu diesem Konzept? Könnte das funktionieren? Würdet ihr es ausprobieren? Liege ich irgendwo komplett falsch?