Als notorischer Systembastler habe ich ganze vier Systeme im letzten Jahr in Arbeit gehabt und gelegentlich Test gespielt. Da die immer wieder einmal bei unseren Rollenspiel-System-Diversitäts-Abenden auftauchen, wurde ich aufgefordert, einmal kurze Beschreibungen zu deren Designs und intendierten Einsatzzwecken abzuliefern.
Wohlan:
Clichés & Critters (C&C):
Dieses System habe ich schon seit einigen Jahren in (gelegentlicher) Entwicklung, und es ist damit mit Abstand die älteste meiner vier aktuellen Basteleien.
Begonnen hat es mit dem Gedanken: „Wie würde ich ein System im OSR (Old-School-Renaissance) Stil machen – also von frühen D&D-Editionen inspiriert? Durch verschiedene Iterationen ist es aber immer weiter davon weg gedriftet, und wenn der Old-School-D&D-Kern zwar im Spielstil noch ersichtlich ist, sind die Regeln mittlerweile sehr weit davon weg (bis auf einige klassische Kern-Elemente von D&D, wie die 6 Attribute oder die typischen Zauber, die aber auch für einige ewige Probleme verantwortlich sind).
Das derzeitige Ergebnis ist ein System, das vergleichsweise übersichtlichen Charakterbau hat, mit eher wenig Spezialeigenschaften für Charaktere, diese dafür aber sehr spielentscheidend. Dafür sind die Regeln für alle möglichen Situationen sehr ausgefeilt (wodurch das Resultat eher mit AD&D als mit Original oder Basic vergleichbar ist):
Wenn man einen Kämpfer im Stil mazedonischer Phalanx spielen will (eine Zweihandwaffe kombiniert mit einem an einem Schulterriemen aufgehängten Schild), gibt es dafür eine Regel (die aber nie getestet wurde). Wenn man in einem abgestürzten Raumschiff Laser- und Plasmawaffen findet, gibt es dafür Regeln (die sogar ausgiebig getestet sind). Wenn man wissen will, wie man einen Golem baut, oder wie ein Disguise Self mit einem Locate Person interagiert, ist das festgelegt.
Alles in allem sind mir das aber mittlerweile schon selber zu viele Regeln (auch wenn alles auf 64 Seiten passt, inklusive 4 Seiten Beispielen, Inhaltsverzeichnis und Index, diversen Beispielcharakteren etc. - diese 64 Seiten sind aber ziemliche „Walls of Text“).
Gerade für den Verein, aber auch generell, tendiere ich in letzter Zeit zu Designs mit eher weniger aber dafür allgemein verwendbaren Regeln.
Weshalb ich zwar noch gelegentlich über das System nachdenke oder sogar sporadisch an der Major Revision 13 weiterschreibe, aber vermutlich werden in nächster Zeit eher die anderen Systeme einen Spieltisch zu Gesicht bekommen.
Dungeons & Decks (DuDe):
Auch das ist ein High Fantasy System in D&D-ähnlichem Stil – also quasi „mit alles, ohne scharf“. Aber eines, das statt mit Würfeln mit Pokerdecks gespielt wird. Daher der Name.
Dabei zieht man nicht nur zufällig Karten von einem Stapel und deckt diese auf, sondern kann die mit Karten von seiner Hand kombinieren (oder muss sich ohne besondere Fähigkeiten rein auf Hand-Karten verlassen). Und man generiert auch keine Zahlenwerte sondern Poker-“Hände“: Also Pair, Straight, Full House etc.
Dadurch spielt sich das System doch merklich anders als mit Würfeln: Man kann viel mehr taktieren, wie man seine Handkarten einsetzt, und anhand der verbliebenen Karten in seinem Deck spekulieren, wie wahrscheinlich es ist, eine höhere Kombo zu bekommen (und dazu vielleicht Energiepunkte für zusätzliches Kartenziehen zu investieren). Im Kampf ist die Anzahl der Karten auf der Hand eines Spielers auch ein Indikator, wie viele Aktionen oder Reaktionen dieser maximal noch setzen kann.
Und weil jeder Spieler sein eigenes Kartendeck hat, das eben die Standard Poker-Zusammenstellung hat, gleicht sich das Glück über den Abend hinweg auch etwas mehr aus, als das bei Würfeln der Fall ist. Auch Spieler, die notorisch schlecht würfeln, müssen in ihrem Deck irgendwann an die Joker kommen…
Auch DuDe ist dabei schon mehrere Jahre alt und durch mehrere Iterationen gegangen. In früheren Versionen hatte man noch klassische Attributs- und Skill-Werte, und man hat auch keine Poker-Hände zusammengestellt, sondern die Karten (die man aber auch schon taktisch spielen konnte) haben einfach Zahlenwerte repräsentiert.
Aber für die aktuelle Version gilt quasi: „Wenn schon Pokerkarten, dann ordentlich!“
Und nebenbei ist das ganze auch viel einfacher als in früheren Versionen. Zumindest, wenn man das Grundsystem einmal durchschaut hat. Was im letzten Testspiel nach ein, zwei Stunden kein allzu großes Problem mehr zu sein schien.
NaRS:
„NaRS“ ist streng genommen keine Abkürzung, sondern der primäre Name des Systems (wie bei GURPS). Es ist nicht einmal genau festgelegt, wofür es genau steht. Ich tendiere zu „Namenloses Rollenspiel-System“ (ja, das ist ein Widerspruch in sich), man kann es aber auch gerne als „Not another Roleplaying System!“ interpretieren – oder was einem sonst dazu einfällt.
Die Idee hinter NaRS war, ein möglichst einfaches aber universal verwendbares System zu haben, in dem man innerhalb von 10-15 Minuten Charaktere für ziemlich jedes Setting bauen kann, die aber trotzdem „hinreichend genau definiert“ wirken, dass sie ziemlich individuell wirken und sich auch im Spiel so anfühlen.
Die Regeln sind ebenfalls ziemlich einfach und schnell erklärbar, und wurden auch schon bei den Dice Tales erfolgreich und nach Hörensagen problemlos für Kinder verwendet. Aber nicht von mir, da hat jemand anderes (Flo) mein System verwendet. Was für mich darauf hindeutet, dass es so schlecht nicht sein kann.
Im Detail sind die Regeln auch sehr leicht anpassbar. Während meine aktuelle Version etwa primär auf One-Shots und Kurzkampagnen optimiert ist, verwendet Flo eine etwas ältere Version des Charakterbaus mit „mehr Luft nach oben“, weil er lieber längere Kampagnen leitet.
Meine persönliche Spezialität mit dem System ist, mich ohne jede Idee, was es denn nur werden soll, zum meistern an den Tisch zu setzen, mir von jedem Spieler ein oder zwei Prompts zum gewünschten Stil und Setting geben zu lassen, und daraus spontan in Sekunden ein Setting und einen One-Shot-Plot zu entwickeln. (Das letzte Mal waren die Prompts etwa: „Cyberpunk“, „Scooby Doo“ und „Kürbisse“).
Das ist aber eher ein Ausbund meiner Verrücktheit als Spielleiter (und einem gewissen Ehrgeiz, mich diesbezüglich selbst zu fordern), als dass es ins System irgendwie eingebaut wäre. Bis darauf, dass es eben universal und schnell beim spontanen Los-Starten ist.
Sphragis:
Der jüngste Neuzugang auf meinem Basteltisch ist aus einer Diskussion kurz vor Neujahr (mit Nico im Verein) über das System Splittermond, und spezifisch dessen Tick-basiertes Kampfsystem entstanden (in dem man seinen Charakter nach jeder Aktion gemäß deren Geschwindigkeit auf einer Zeitleiste verschiebt, wann er wieder drankommt – Kampfrunden im üblichen Sinn gibt es dort nicht).
Am Heimweg habe ich mich gefragt, wie ich so etwas ähnliches machen würde, was vielleicht besser funktioniert, und wo vor allem Kämpfe nicht so ewig dauern. Und wo nicht bei Aktionsgeschwindigkeiten, im Gegensatz zu allen anderen Spielwerten, hohe Werte schlechter sind. Und hatte dazu eine interessant erscheinende Idee.
Am nächsten Tag bin ich dann mit einem neuen System – eben Sphragis – im Verein aufgetaucht, und habe die erste Idee gleich testgespielt. Und weil es in der Grundidee vielversprechend genug erschien, habe ich es seitdem ein bisschen verbessert – wobei es eher viele Justierungen brauchte, das Grundsystem hat sich halbwegs bewährt.
Im Wesentlichen basiert der Kampf in Shpragis darauf, dass man sich ständig auf einer Initiative-Leiste vor- und zurück bewegt, man langsame aber starke Aktionen nur ausführen kann, wenn man gerade im Kampfgeschehen (repräsentiert durch diese Leiste) die Oberhand hat, und dass Kämpfer, die das aktuelle Geschehen besser überblicken (höhere Initiative haben) ihre im Initiativenachteil befindlichen Gegner (oder Kollegen) taktisch unterbrechen und deren Aktionen behindern oder annullieren können.
Wer also einen mächtigen Schmetterschlag ausführen will, muss nicht nur in den vorigen Kampfrunden eine vorteilhafte Position im Kampfgeschehen (sprich: einen hohen Initiativewert) aufbauen, sondern fällt danach auch auf die letzten Plätze zurück, und ist damit für Gegenangriffe anfällig. So ein Schmetterschlag kann das Risiko oft werd sein, aber man muss eben ständig abwägen, wann was am besten ist, und die Kampfsituation ändert sich eigentlich jede Runde, so dass man nicht einfach nur seine Standard-Aktionen runterspulen kann, sondern seine Taktik ständig anpassen muss.
Und genau das war der Sinn des Designs: Dynamische und taktische Kämpfe zu bieten.
Derzeit besteht Sphragis aber hauptsächlich aus dem Kampfsystem, das Drumherum – also Charakterbau und nicht-Kampf-Aktionen – sind derzeit bewusst minimalistisch gehalten (wodurch Sphragis derzeit auch ein Universalsystem ist, also nicht auf ein Genre oder Setting zugeschnitten). Weil schließlich wollte ich ja primär eine Kampfsystemidee testen, und der Rest sollte primär „seinen Zweck erfüllen, ohne irgendwie im Weg zu sein.“
Und das ist bis jetzt auch zugetroffen.
Notiz am Rande: Sphragis ist altgriechisch für „Siegel“. Das kommt daher, dass ich es in der ersten Idee für das Setting des alten Vereinssystem-Experiments verwenden wollte, nämlich Kanniku, was auf sumerisch „Siegel“ heißt. De facto habe ich es bis jetzt aber für Nicos altes Steinzeit-Setting Mahan und für ein „Drei Musketiere“-Szenario verwendet.