How to Build Kingdoms Worth Learning About

  • Diskussion zum Thema:

    "Thunder rolled. It got a 6." — Guards, Guards by Sir Terry Pratchett

  • Je mehr ich mir zu dem Thema überlege umso mehr Perspektiven ergeben sich für mich. Ursprünglich war ich der Meinung, dass der Autor sich nichts Gutes tut, wenn er erfundene Königreiche mit unserer eigenen Gesellschaft vergleicht. Aber ich denke da steckt mehr dahinter, auch wenn der Autor, denke ich, nicht darüber nachgedacht hat.


    Mir ist am Beispiel von Matt Mercer's Xhorhas aufgefallen das die Behauptung, dass Wiedergeburt falsch ist, im Kontext der bespielten Welt überhaupt keinen Sinn ergibt. Eine Welt voller Götter, magischer Wesen und Zauber die nicht nur die Gegenwart, sondern sogar Zukunft und Vergangenheit verändern können. Zusätzlich dazu kennt diese Welt (sofern ich weiß) echte Wiederbelebung durch Magie.

    Aber das ist der Punkt, an dem ich angefangen habe umzudenken. Die Welt ist Interessant. Nicht weil die Bevölkerung Xhorhas an Wiedergeburt durch magische Methoden glaubt, sondern weil es für uns unvorstellbar und damit falsch sein muss. ABER! In dieser Welt könnte es Wahr sein.

    Das ist der Haken, der uns als Konsument gelegt wird. Wir sind interessiert, weil uns zwei Dinge präsentiert werden:

    1. Etwas das mit unserem Weltbild nicht kombiniert
    2. Die Möglichkeit, dass wir im Kontext der Welt mit unserem Weltbild falsch liegen


    Mit dieser Perspektive kann ich mir die anderen Welten ansehen, die der Autor auflistet.


    Sex ist in A Wise Man's Fear etwas Triviales. Das steht im starken Kontrast zu unserer eigenen Welt, wo physischer Kontakt im Allgemeinen für die meisten Leute etwas Intimes ist. Wir haben Wege entwickelt, um unsere soziale Ader ohne die Notwendigkeit für Körperkontakt auszuleben. Drehe ich das ganze auf den Kopf, ist es naheliegend das diese Tätigkeiten (wie gemeinsames Musizieren) einen ähnlichen Stellenwert in der Gesellschaft einnehmen. Wo wir wieder bei meiner Behauptung #2 sind - in der Welt, ergibt es Sinn, dass es diesen Unterschied gibt, der sich schwer mit unserer Weltanschauung vereinbaren lässt.


    Die nächste Welt wäre dann Tortuga und ich finde das schlechteste Beispiel in sowohl dem Original Beitrag als auch hier. Aber meine zwei Erkenntnisse halten auch hier Stand. Tortuga ist ein gesetzloser Ort an dem Rauchen, Saufen und Herumhuren normaler Alltag ist. Und wir nehmen an, dass das eine Zivilisation ist die sich früher oder später selbst vernichtet. Aber, und auf das wird in Pirates of the Carribean auch angespielt, funktioniert die Zivilisation trotzdem, weil es zwar keine Gesetze aber einen Kodex gibt, der die Piraten zusammen hält. Aber, um das Zitat aus dem Film zu quälen: "Es sind mehr Empfehlungen als Regeln" sträubt sich mit unserer Weltansicht, wo Gesetze und Grenzen dominieren.


    Als letztes, die Welt des Autors. Die Änderung bewirkt, dass der Wert der eigenen Person dadurch bestimmt wird, mit welchen besonderen Fähigkeiten ich mich zu Lebzeiten ausstatten konnte. Ich finde, das ist eigentlich ein interessanter Spin für uns bekannte religiöse Ansichten das durch ein gutes Leben man nach dem Tod an einen schönen Ort kommt. Was ist hier aber die Herausforderung an unseren Status quo? Ich denke, das steckt vor allem in der porträtierten Ungleichheit der Gesellschaft die anscheinend nicht von sozialen Schichten herrührt, sondern allein durch den persönlichen Antrieb und vermutlich auch Gelegenheiten/Schicksal abhängt.



    Der Ansatz gefällt mir eigentlich recht gut, um ein Gefühl zu bekommen, ob eine Welt für sich alleinstehend etwas besitzt das Interessant ist. Wie alles ist es keine silberne Kugel aber ein gutes Werkzeug, um selbstkritisch auf das eigene Werk einzugehen. Da vieles von den eigenen Wertvorstellungen abhängt, ist es aber auch sehr leicht das ganze Thema überzustrapazieren.


    Dieses Thema sollte eigentlich heißen: Wie wecke ich Interesse an meinem Königreich und nicht wie schreibe ich ein gutes Königreich. Dazu ist es zu Oberflächlich und es gibt an allen 3 Beispielen genügend Kanten, die das ganze kaputt machen könnten, wenn man es nur durch diesen Aspekt betrachtet

    "Thunder rolled. It got a 6." — Guards, Guards by Sir Terry Pratchett

  • Ich bin auch jemand, der gerne interessante und etwas ungewöhnliche Twists in seinen Settings einbaut (war ja auch wesentlicher Bestandteil meiner Worldbuilding-Vorträge), aber ein Punkt geht mir oben ab:

    Wie wirkt sich eine Besonderheit im Spiel und in den Abenteuern aus?

    Das ist, denke ich, eine ganz zentrale Frage, weil eigentlich baut man ein Rollenspielsetting ja, um interessante Abenteuer zu bieten (meistens; wenn man rein am eigenen Worldbuilding Spaß hat gilt mein Punkt natürlich nicht). Und irgendwelche Besonderheiten mit relativ wenig Relevanz fürs tatsächliche Spiel können dann vergebene Liebesmüh oder sogar kontraproduktiv sein:

    • Möglicherweise fällt es den Spielern nicht mal groß auf, dann hat man Zeit und Hirnschmalz investiert, das wo anders produktiver gewesen wäre. Und möglicherweise ist man frustriert, weil man das Gefühl hat, etwas wirklich tolles ausgearbeitet zu haben und die Spieler achten nichtmal drauf und behandeln die Welt wie jedes andere "generische" Setting.
    • Im schlimmsten Falle kommt man wegen "Worldbuilder's Disease" nie dazu, wirklich zu spielen, weil man ewig an seinen Settingdetails tüftelt Oder bei all dem Worldbuilding kommt die Abenteuervorbereitung zu kurz (Zeit ist begrenzt...).
    • Tendenz zu langen und für die Spieler oft mühsamen statt interessanten Info-Dumps, weil um den aktuellen Ort zu verstehen, muss man dieses und jenes wissen, das dann natürlich diese weiteren Implikationen hat etc... Besonders, wenn die SCs das logischerweise wissen sollten (ihre Heimatregion statt etwas, wo sie neu hinkommen und von dem sie wenig wissen - in letzterem Falle lässt sich die graduelle Erfahrung oft besser ins Spiel integrieren)
    • Wenn es auffällt und Interesse bei den Spielern generiert, ist das natürlich zuerst einmal toll. Andererseits kann es auch dazu führen, dass die Spieler von der eigentlichen Handlung abgelenkt werden. Spieler tendieren bekanntlich dazu, sich in irgendwelche Nebensächlichkeiten zu verbeissen und das für den Kern der Handlung zu halten. Je herausstechender eine Welteigenheit, desto größer die Tendenz, dass die Spieler sich mehr darauf konzentrieren als auf die geplante Handlung. Das kann natürlich ein Vorteil sein und den Spielspaß insgesamt steigern (vor allem, wenn der SL gut improvisieren kann), ist aber ein etwas unsicherer Faktor.
    • Möglicherweise hat das ganze im Spiel dann auch Konsequenzen, die der SL nicht bedacht hat. Die Spieler kommen auf irgendeine Idee, das ganze auszunutzen, um viel geplantes auszuhebeln, Macht zu lukrieren etc. Kann in einer Sandbox gut sein, aber in einem eher Plot-fokussierten Spiel alles kaputt machen, etwa wenn man den großen Widersacher trivialisiert.
    • Eventuell können Settingdetails auch mit den Regeln in Konflikt kommen. Nicht nur als logische Widersprüche (wie oben erwähnt diese Beacon-Geschichte in einem Setting, wo man Sachen wie Speak with Dead, Plane Shift in die göttlichen Domänen, Ressurrection etc. hat) sondern auch mit dem Spielstil, auf den die Regeln gemünzt sind. Ist es ein Dungeon Crawler, fördert eine konsistente und realistische Welt (Ökonomie, Geologie, Gesellschaftsordnungen) natürlich Frage: Warum gibt es überhaupt Dungeons in der klassischen (eher suspension-of-disbelief fordernden) Form? Benutzt man ein kampffokussiertes System und Spiel, kommen die Taktiker, die sich auf eben diesen Fokus gefreut haben, wohl nicht zum Zug, wenn einige Spieler plötzlich aufgrund des interessanten Hintergrunds politische Intrigen, religiös-philosophische Schismen oder ähnliches ins Zentrum des Spiels stellen wollen; und der SL hat für dieses soziale Spiel dann vermutlich ein Regelsystem, das diese Dinge eigentlich nicht wirklich unterstützt.


    Also frage ich mich beim Worldbuilding auch immer: Welche erwartbaren Auswirkungen hat eine Besonderheit aufs Spiel und auf die Abenteuer.

    Und im allgemeinen finde ich es da besser, nur wenige, aber dafür einschneidende Details zu ändern, deren Auswirkungen auf viele Bereiche man dann (so gut es geht) durchdenkt, sowohl Lebensbereiche im Setting als auch auf die geplanten Abenteuer. Das wirkt dann auch auf längere Sicht meist konsistenter und immersiver als wenn man jeder Örtlichkeit halt relativ unabhängig voneinander ein definierendes Feature gibt, wo man sich beim genauen Hinsehen oft fragt: Wie passt das zu all den anderen Gesellschaften, etablierten magischen Regeln etc.

    Natürlich kann man auch bewusst ein "anything goes" oder "every place is different" Setting bauen, wo das dann wieder passt, aber ist halt nicht so meines.


    Beispiel einer Welt, die ich für meine aktuelle Eigenbau-System-Bastelei erdacht habe: Der Planet umkreist in geringem Abstand einen roten Zwerg (ein Sonnentyp), der noch dazu ein Flackerstern ist. Der Planet ist noch dazu rotationsgebunden (es zeigt also immer die selbe Seite zur Sonne). Astronomisch ist das wohl deutlich häufiger als erdähnliche Bedingungen, und theoretisch, wenn auch unwahrscheinlich, könnte es auf so einem Planeten (einem "hot eyeball planet") Leben geben (auf einem "Ring of Life" zwischen ewigen verbrannten Wüsten auf der einen und ewigen Eispanzern auf der anderen Seite).

    Das hat natürlich Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, und auch auf Abenteuer: Es gibt keine Tageszeiten, Jahreszeiten etc. (kein rumschleichen in der Nacht, Kalender funktionieren anders etc.). Geographie und Wetter sind anders (ständige breite Flüsse vom am Rand schmelzenden Eispanzer zur Wüste, dann stetige Winde in die Gegenrichtung, die das verdunstete Wasser zurückbringen; häufige Wirbelstürme). Pflanzenbewuchs ist anders (grün ist weniger optimal zur Absorption des Spektrums, Pflanzen wachsen einseitig weil die Sonne immer in der gleichen Richtung ist). Dazu kommt der Flackerstern, der in seinen stärkeren Perioden (bei mir für etwa 30 Erdenjahre etwa alle 300 Erdenjahre) immer wieder mal den Ring of Life versengt und verstrahlt, womit die meisten Leute Richtung Eispanzer fliehen müssen, was regelmäßige "Resets" der politischen Situation erzeugt, und zurückgelassene und später wieder zu erobende Städte, Ruinen etc. (Abenteuerfutter). Licht und Dunkelheit haben nicht die gleichen Gut-und-Böse Assoziationen wie bei uns, weil beides ebenso oft als rettend wie zerstörerisch erlebt wird.

    Im wesentlichen eine einzelne astrologische Änderung, aber die beeinflusst die meisten Lebensbereiche auf der Welt und auch viele klassische Abenteuer-Funktionen, vom großen (keine dunkle Nacht, nur begrenzt einheitliche Aktivitätszyklen der Bewohner, zurückgelassene Ruinen und Artefakte bei gleichzeitig massiv reduzierter Bevölkerungszahl und Möglichkeiten zur politischen Neugestaltung nach einer Periode erhöhter Sternenaktivität, Abenteurer als respektierte Speerspitze der Landrückgewinnung, relativ kurze Distanzen von einer Klimazone zur nächsten) bis ins kleine und eher zum Hintergrund gehörende (Kalender, Licht gegen Dunkelheit, Tagesgestaltung, besondere Bedeutung langlebigerer Rassen wegen Erinnerungen an Lebensführung vor einer "Zeit des Brennens", grob parallele, breite, inseldurchsetzte Flüsse/Augebiete als natürliche Grenzen, keine klassischen Ozeane/Kontinente).


    Anderes Detail aus der gleichen Welt, das sich auf die Gesellschaft auswirkt, hier aus dem Regelsystem kommend: Alle Charaktere, sowohl SCs als auch NSCs, haben gleich viele Ability Points zu verteilen (selbst bei der optionalen Zufalls-Erschaffung); Tiere ein paar mehr, einige Charakteroptionen von 2 Rassen bringen oder kosten welche, aber im Prinzip sind alle Leute insgesamt ähnlich kompetent. Das könnte man jetzt als reines Regeldetail settingmäßig ignorieren, habe ich aber nicht: Die Leute auf der Welt haben das durchaus mitgekriegt und sehen es als Bestandteil der göttlichen Ordnung und Fairness, dass jeder irgendwo Talente hat, wenn auch unterschiedliche. Es gibt also keine inheränt insgesamt "besseren" und "schlechteren" Leute nach genetischen Zufall, was natürlich gesellschaftliche Konsequenzen hat. Ebenso sind Klassen grob bekannt, also dass jeder, der ein bisschen Lebenserfahrung, Talent oder Ausbildung hat, eben in einigen Lebensbereichen (Ability Scores und Skills sind weitgehend unabhängig) bestimmte Muster aufweist, in dem, was er besonderes kann - und dass ein Magier nicht "besonderer" ist als ein Kämpfer oder Anführer, nur halt anders. Auch hier kommt wieder der allgemeine Glaube an eine starke, ordnende höhere Kraft ins Spiel.


    Das ist natürlich auch wieder alles nur eine persönliche Präferenz. Aber welcher Bereich im Rollenspiel ist das nicht?