Balance im P&P-Rollenspiel

  • Einerseits gibts Spieler_innen, die eher eine konsumierende Beziehung mit dem Spiel haben - da macht natürlich das Verteilen von Kontrolle über die Geschichte nur wenig Sinn. Ich denke aber, dass solche Spieler_innen auch eher dazu tendieren keine Aufmerksamkeit in die diveresen anderen Aspekte von Balance zu legen.


    Einige solche Spieler, die ich erlebt habe, wollen gar keine Balance. Für die wäre Balance im fodazdschen Sinne sogar negativ, zumindest wenn die Balance nicht nur zwischen SCs sondern auch zwischen SCs und dem Rest der Welt besteht (in dem Sinne von: die SCs fahren nicht einfach über alles drüber*) weil die oft dazu führt, dass man bei Charakterbuilds und beim Spielen mitdenken muss, wenn man nicht eine auf den Deckel bekommen will (bzw. in Folge die ganze Gruppe). Und das wäre diesen Spielern oft zu anstrengend und damit dem Spielspaß im Weg.

    Man kann als SL die Gegner natürlich nur auf den Rest der Gruppe balancieren und den "einfach nur dabei sein und chillig abhängen" Spieler quasi ignorieren. Das geht dann streng genommen oft an der intendierten Balance des Systems vorbei, aber gut, irgendwas hausregeln muss man in den meisten Runden, damit es für die eigene Gruppe wirklich passt...


    Wobei, bis zu einem gewissen Grad überschneidet sich der Casual Gamer hier sogar mit dem Power Gamer. Wenn ein System so gut designed ist, dass er keine Exploits finden und alles dominieren kann, wird mancher Power Gamer wohl auch nicht wirklich glücklich werden...


    * Wobei das oft vom System gewollt ist, weil sehr viele Spieler daran Spaß haben, über alles drüberzufahren, was der SL aufbieten kann. Insgesamt denke ich sogar, dass solche Systeme beliebter sind als die, die den Spielern eine ordentliche Herausforderung bieten wollen.


    Hmm - das kommt natürlich auf das System an. DnD 5e versucht sowas ja beispielsweise mit dem Challenge Rating (wenn es als echte Hard Rule gehandhabt werden würde), indem die Mechanische Kapazität des SL* beschränkt wird und dadurch im Gegenschluss die Agency die Spieler_innen haben eingelotet wird.


    Die D&D-Tradition, den SL zu beschränken, geht auf AD&D zurück, das genau dafür geschrieben wurde (und quasi einen Gegenpol zum improvisationslastigen OD&D/BD&D gebildet hat). Nämlich, damit sich das selbe Abenteuer unter unterschiedlichen Spielleitern trotzdem möglichst gleich spielt. Was zur Vergleichbarkeit von Convention-Runden im Sinne von "wer überlebt am längsten und findet das meiste Gold"-Wettbewerben gedacht war.

    Da hatten dementsprechend das Abenteuer-Modul und die Regeln Präzedenz gegenüber SL-Entscheidungen.

    D&D4 war da eigentlich am extremsten mit CR-Baukästen (wie generell mit strikten Mechaniken), allerdings hat das Encounter-Zusammenkaufen-nach-CRs auch mit Abstand am besten funktioniert, so dass da praktisch immer fordernde aber noch schaffbare Kämpfe rauskommen. Was andererseits mit dazu beigetragen hat, dass es ein gutes Dungeon-Crawler-Brettspiel aber ein schlechtes Rollenspiel ist (spürbar geführtes und immer ziemlich gleiches Pacing, weniger "organisches" Abenteuer-Gefühl).


    Ganz am anderen Ende des Spektrums gibt es dann narrative Systeme, die die mechanische Kapazität des Spielleiters aus einer anderen Richtung beschränken, weil die Spieler ihn überstimmen oder ihm die narrative Kontrolle mechanisch (meist durch Einsatz irgendwelcher Punkte/Tokens) abnehmen können.


    Während das erste einer Balance im rein mathematisch-regelmechanischen Sinne zuträglich ist, ist letzteres natürlich das Gegenteil, und verschiebt Balance weg von relativ planbaren Standardsituationen wie Kämpfen hin zu einer rein gruppenspezifischen Geschichte, wo jeder darauf achten muss bzw. eine Art Standoff zwischen SL und den verschiedenen Spielern provoziert wird, wo sie sich gegenseitig in Schach halten sollen/müssen (positiv formuliert: Solche Systeme wollen, dass alle zugunsten einer interessanten Geschichte gemeinsam am selben Strang ziehen), damit das Spiel noch funktioniert wie geplant.


    Prinzipiell sehe ich funktionierende, auf Herausforderung balancierte Mechaniken und Rollenspielspaß im Sinne der (von mir wahrgenommenen) Mehrheit der Spieler sogar als Gegensätze, eben genau weil strikte Mechaniken für möglichst viele Situationen die Möglichkeiten der Spieler (und auch des SLs) einschränken. Oft kommt es da primär darauf an, die gruppenspezifische "goldene Mitte" zu finden, was wohl wichtiger ist als die Qualität (fodazdsche Balance etc.) der Regeln selbst.